Sondervoten

Sondervotum der Kommissions-Mitglieder Dr. Jürgen Eiben, Prof. Dr. Werner Helsper, Dr. Angelika Köster-Loßack, MdB, Prof. Dr. Hubert Seiwert zu Kapitel 4.2.1 "Informations- und Beratungsbedarf bei nichtstaatlichen Stellen"

In der Verhältnisbestimmung zwischen Selbsthilfegruppen, ehrenamtlicher Hilfe/Beratung und professioneller Beratungstätigkeit im Feld neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen muß deutlicher zwischen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereichen differenziert werden. So sind die aufgeführten Stärken und Vorteile der "Laien"- und "Selbsthilfe" zugleich auch Problemzonen, für die geklärt werden muß, wie Überforderungen, Mitagieren, die Verwicklung in Konfliktdynamiken oder auch mögliche Instrumentalisierungen von Rat- und Hilfe-Suchenden vermieden werden können. Nur wenn dieses Verhältnis geklärt wird, kann die Selbst- und Laienhilfe ihre Möglichkeiten realisieren und ausschöpfen, ohne selbst verstärkt in der Gefahr zu stehen, konstitutiv zur Problemerzeugung - gegen eigene Intentionen - beizutragen oder in Konfliktzusammenhängen unreflektiert mit zu agieren. Analoge Gefahren bestehen prinzipiell auch für das professionelle Handeln; für deren Vermeidung oder zumindest Minimierung sind umfassende Vorkehrungen professioneller Selbstkontrolle und Fremdreflexion notwendig.

Diese Gefahren gelten weniger für eher alltagsnahe Ratschläge und Unterstützungsleistungen, sondern mehr für die Involvierung in weltanschauliche Konflikte und in die Beratung und Stützung lebensgeschichtlich stark belasteter Betroffener.

Wenn für Professionelle hohe Standards der Abstinenz, der (Selbst-)Reflexion, der Balance von Nähe und Distanz sowie systematischer "Fremdreflexion" zu Recht eingefordert werden, so muß für Laien- und Selbsthilfe - die ja häufig starke Involvierung, Beteiligung und analoge Erfahrungen der dort Aktiven beinhaltet - über flankierende Formen der Stabilisierung, der (Selbst-)Reflexion und einer "Beratung der Berater" nachgedacht werden.

Dazu bedarf es einer Zusammenarbeit und gegenseitigen Bezugnahme von Professionellen und Selbsthilfegruppen, so daß Professionelle die Feldnähe und -Erfahrung der Laien- und Selbsthilfe nutzen und diese ihrerseits die professionellen Kompetenzen für ihre Unterstützung und die Fremdreflexion ihrer Tätigkeit aufgreifen können. Laien- bzw. Selbsthilfe und Professionelle stehen somit in einem ergänzenden, kooperativen Verhältnis.

Der vorliegende Text (Kap. 4.2, insbesondere der Abschnitt Laienhilfe) erweckt in einigen Formulierungen den Eindruck einer einseitigen Hervorhebung der Stärken der Selbsthilfe, ohne gleichermaßen auf potentielle Problem- und Fehlerzonen dieser Tätigkeit und ihrer Grenzen einzugehen. Genau dies aber ist für eine langfristige Stärkung dieser alltagsnahen Unterstützungsnetze ebenso erforderlich, wie ein Ausbau und eine Strukturierung des professionellen Beratungsangebotes.

Die einseitige Hervorhebung der Stärken der Laien- und Selbsthilfe ohne eine gleichermaßen reflektierte Kommentierung der Probleme kann dazu beitragen, dieses Selbsthilfefeld - gegen die eigenen Absichten - zu diskreditieren oder zumindest nicht im Sinne kritischer Unterstützung zu fördern. Denn es muß langfristig gerade im Interesse von Betroffeneninitiativen sein, die möglichen Problemzonen der eigenen Unterstützungs- und Beratungstätigkeit reflektiert einzubeziehen. Dies ist im kooperativen Zusammenspiel mit einem strukturierten und ausgebauten professionellen Beratungsangebot im Feld neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen sicherlich einfacher zu leisten.

Sondervotum der Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" zu Kapitel 5.5.3.2 (Körperschaftsrechte) und der dazugehörenden Handlungsempfehlung, Kapitel 6.2.1.2

Die Kommissionsmitglieder Ursula Caberta y Diaz, Alfred Hartenbach, Dr. habil. Hansjörg Hemminger, Angelika Mertens, Renate Rennebach, Gisela Schröter, Dr. Bernd Steinmetz, Prof. Dr. Hartmut Zinser (Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion) stimmen dem Kapitel 5.5.3.2 (Körperschaftsrecht) und der dazugehörenden Handlungsempfehlung unter Punkt 6.2.1.2 nicht zu. Im Hinblick auf die zukünftige Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts halten sie es vielmehr für geboten, die folgende verfassungsrechtliche Überprüfung zu empfehlen:

Dem Deutschen Bundestag wird empfohlen, in der 14. Wahlperiode Artikel 140 des Grundgesetzes daraufhin zu überprüfen, ob eine ausdrückliche Aufnahme der Kriterien der Rechtstreue und der Loyalität gegenüber dem demokratisch verfaßten Staat als Voraussetzungen für die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts angebracht ist.

Begründung:

1. Nach dem Wortlaut der Verfassung (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung) ist einer Religionsgesellschaft derzeit dann der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, wenn sie "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer" bietet. Der vom Bundesverwaltungsgericht am 27. Juni 1997 entschiedene Prozeß (Az.: 7 C 11/96, BVerwG NJW 1997, 2396) um die Anerkennung der Zeugen Jehovas hat gezeigt, daß hier ein Präzisierungsbedarf besteht, der möglicherweise nicht allein den Entscheidungen der obersten Gerichte überlassen werden kann. In der Begründung des Urteils wird über den Wortlaut der Verfassung hinaus festgestellt, daß es weitere, ungeschriebene Anerkennungsvoraussetzungen wie die der "Rechtstreue" (a.a.O. S.2397) und der "in der Verfassung stillschweigend vorausgesetzten und die Förderung rechtfertigende Gemeinwohldienlichkeit" (a.a.O. S.2398) gibt. Jener Prozeß mit seinen unterschiedlichen Instanzurteilen und verschiedene Diskussionen auch in der Enquete-Kommission haben gezeigt, daß diese "ungeschriebenen" und "stillschweigend vorausgesetzten" Grundsätze sehr unpräzise sind. Es bedarf einer verfassungsrechtlichen Überprüfung, ob die "verfassungsimmanenten Grenzen" (a.a.O. S.2397) der Religionsfreiheit zumindest für die Religionsgesellschaften explizit ausgeführt werden müssen, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beantragen.

2. Körperschaften des öffentlichen Rechts werden im Falle der Religionsgesellschaften mit einem "Privilegienbündel", darunter auch staatlichen Hoheitsrechten, ausgestattet. Es ist aber nicht vertretbar, daß Religionsgesellschaften, deren Lehren und Wirken auch nur in wesentlichen Teilen mit der Grundwerteordnung des GG nicht vereinbar sind, diese Privilegien und staatlichen Hoheitsrechte verliehen werden. Im öffentlichen Recht muß der Staat von Religionsgesellschaften, die den besonders herausgehobenen Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben wollen, Rechts- und Verfassungstreue und die Bereitschaft, die verfassungsmäßige Ordnung mitzutragen, verlangen. Das Wirken der Religionsgesellschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus darf auch nicht dem "Sinn und Zweck widersprechen, der nach der verfassungsrechtlichen Regelung dem angestrebten Korporationsstatus zugrundeliegt" (a.a.O. S.2397). Der Staat ist nicht verpflichtet, eine Religionsgemeinschaft zu privilegieren, deren Tätigkeit mit den Grundwerten der Verfassung nicht übereinstimmt.

3. Die Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" teilt nicht die Auffassung der Mehrheit der Kommission, wonach es eine herrschende höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Bereich gibt, die eine verfassungsrechtliche Überprüfung in der oben vorgeschlagenen Weise entbehrlich machen würde. Vielmehr ist insoweit nur die bereits genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ergangen; andere höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem dort aufgeworfenen Problem ist nicht ersichtlich. Die Vorinstanzen hatten genau gegenteilig entschieden und waren der Auffassung, daß die Zuerkennung des Körperschaftsstatus' nicht an "ungeschriebenen" Voraussetzungen scheitern sollte. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird der Problembereich nicht einhellig beurteilt. Daher ist der Verfassunggesetzgeber aufgerufen, die noch aus der Weimarer Reichsverfassung stammenden Voraussetzungen für die Zuerkennung des Körperschaftsstatus' einer zeitgemäßen, verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies gilt auch in Anbetracht der von der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas eingelegten Verfassungsbeschwerde, deren Ausgang - wie die Mehrheit der Kommission zutreffend konstatiert - völlig offen ist.

4. Da in Art. 137 Abs.5 S.1 WRV festgestellt ist, daß "Religionsgesellschaften ... Körperschaften des öffentlichen Rechts (bleiben), soweit sie solche bisher waren", bezieht sich der vorgeschlagene Prüfauftrag nur auf die Fälle, in denen Religionsgesellschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts neu beantragen. Die tradierten Kirchen, ihr Rechtsstatus, ihre innere Ordnung und damit der Verfassungskompromiß von 1848, 1919 und 1949 bleiben unberührt. Insoweit wird kein Zweifel an der Rechts- und Verfassungstreue und der Bereitschaft, die verfassungsmäßige Ordnung mitzutragen, der öffentlich-rechtlich verfaßten Kirchen geäußert; im Gegenteil ist festzustellen, daß diese wesentlich zur Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes beigetragen haben und beitragen. Der vorgeschlagene Prüfauftrag trägt lediglich der geschichtlich gewachsenen Situation, die von der Kommission nicht zur Debatte zu stellen ist, Rechnung.

5. Es ist an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, daß durch den vorgeschlagenen Prüfauftrag der Status solcher religiöser Gemeinschaften nicht berührt wird, die keinen Antrag auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts stellen. Das mit einer Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehene Privileg enthält aber eine solche Qualität, daß es nicht durch Verallgemeinerung und Verleihung an alle Gemeinschaften ausgehöhlt werden darf.

Im übrigen würde eine Ausgestaltung der Anerkennungsvoraussetzungen zugleich auch ein klares Angebot des Staates zur Kooperation mit religiösen Gemeinschaften darstellen.

Sondervotum der Mitglieder der Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" Ursula Caberta y Diaz, Alfred Hartenbach, MdB, Dr. habil. Hansjörg Hemminger, Renate Rennebach, MdB, Gisela Schröter, MdB, Dr. Bernd Steinmetz und Prof. Dr. Hartmut Zinser zu Kapitel 6.1 "Stellungnahme zu dem gesamtgesellschaftlichen Phänomen der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen"

Die Diskussion um konfliktreiche neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogrupppen hat unter verschiedenen Aspekten seit den 60er Jahren immer wieder stattgefunden. Bis Anfang der 90erJahre wurde dem Phänomen in seiner gesamtgesellschaftlichen Dimension zu wenig Bedeutung beigemessen und vor allem die individuelle Seite in den Vordergrund gerückt.

Die Diskussion um einzelne Gruppen ging in der Regel von den in diesen Gemeinschaften vorhandenen Praktiken und Wertvorstellungen aus. Daraus resultieren die u.a im Endbericht der Enquete-Kommission behandelten Konflikte.

Als erste gesellschaftliche Institutionen nahmen die evangelische und katholische Kirche das Problem wahr. Die Gesamtproblematik wurde jedoch häufig auch von diesen nicht erkannt. In der Institutionalisierung von Weltanschauungsbeauftragten wurde bis heute das adäquate Mittel seitens der Kirchen gesehen, dem Phänomen zu begegnen. Je nach Besetzung und finanzieller Ausstattung dieser kirchlichen Institutionen reichte und reicht die Auseinandersetzung mit dem Phänomen von individueller Beratung bis hin zu öffentlichen Stellungnahmen auch zum gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Die staatliche Auseinandersetzung mit verschieden konfliktreichen Gruppen hat - abgesehen von der einen oder anderen Berichterstattung an Landesparlamente - erst später eingesetzt. Einer der Hauptgründe, daß die gesamtgesellschaftliche Problematik in Deutschland erst relativ spät erkannt wurde, liegt daran, daß die (konflikthaften) Vorkommnisse als individuelle Schicksale von Einzelnen verstanden wurden.

Festgestellt wird, daß die Problematik der konfliktträchtigsten Gemeinschaften ein gesamtgesellschaftliches Thema ist. Ablenkungsmanöver von den Gemeinschaften - die auch häufig durch die Medien transportiert werden -, Verharmlosung durch Nichtbetroffene oder Schlechtinformierte dürfen die Diskussion nicht davon abbringen, daß seit ca. Mitte der 80er Jahre verschiedene Gruppen nicht nur Individuen mit ihrer Lehre "beglücken" wollen, sondern daß zudem die konflikttträchtigsten Gruppen darauf abzielen, in Deutschland ihre Wertvorstellungen zur politischen Grundlage zu etablieren.

Die genaue Differenzierung der Lehren und Praktiken der einzelnen neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen, unabhängig von den durch sie verursachten, z.T. tragischen Einzelschicksalen, muß neben der notwendigen weiteren Aufklärung durch kirchliche und private Institutionen auch Aufgabe des Staates sein.

Die immer wieder in der Öffentlichkeit beschworene Diskussion über die Politikverdrossenheit in Deutschland hat bisher zu wenig berücksichtigt, daß viele Menschen sich auf die scheinbar in der Gesellschaft bestehenden Machbarkeitsmechanismen für ihre persönlichen, individuellen Wünsche verlassen haben. Seit der sich spätestens ab Anfang der 90er Jahre ergebenden Umbruchsituation stellen viele fest, daß sie persönlich an ihre Grenzen stoßen. Sie machen dafür häufig das politische System bzw. die dieses System tragenden Institutionen dafür verantwortlich. Zahlreiche neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen bieten für individuelle oder auch gesamtgesellschaftliche Probleme nur vermeintliche oder irreführende Lösungen an. Oft kommt die Bindung an diese Gruppen einem Rückzug aus dem politischen System und Leben gleich.

Die politische Diskussion des Rückzugs oder der Abwendung von den in der Gesellschaft etablierten Verhaltensweisen beschränkt sich zu häufig auf die Wahrnehmungsmuster, die bis Anfang der 80er Jahre gültig waren. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben dazu geführt, daß viele Menschen sich von den überlieferten Formen und Institutionen abwenden und sich statt dessen politischen, religiös-weltanschaulichen oder sonstigen Extremen anschließen. Dies kann als Bedrohung der demokratischen Stabilität wahrgenommen werden. Wertvorstellungen, die über neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen Einfluß auf Handlungen von Menschen nehmen, sollten deshalb ebenso als eine Form der politischen und gesellschaftlichen Verweigerung erkannt werden. Diese stimmen in den extremsten Fällen weder mit den vornehmlich christlich geprägten Werten und Normen in unserem Land überein, noch mit den im Grundgesetz verankerten Vorstellungen, die vor allem von der Politik zu verteidigen sind. Dieser Widerspruch muß in der politischen Diskussion zukünftig einen höheren Stellenwert erhalten. Sonst sind eine weitere Ausbreitung der konfliktträchtigen Gruppen im Bereich neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen zu befürchten und in der Folge weitere gesamtgesellschaftliche Probleme.

Die Enquete-Kommission hat sich mit den wesentlichen Aspekten des Gesamtphänomens befaßt. Die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen sind die Minimalforderungen, die kurzfristig dringend umgesetzt werden müssen. Forschung und Politik bleiben zugleich zu weiteren Schritten aufgefordert.

Sondervotum der Kommissions-Mitglieder Prof. Dr. Ralf-Bernd Abel, Ursula Caberta y Diaz, Dr. Jürgen Keltsch, Prof. Dr. Hartmut Zinser zum Endbericht

Der Endbericht bedarf der Ergänzung, weil ein wesentlicher Dienstleistungsbereich, der heute von den Kunden auf dem Psychomarkt in Anspruch genommen wird, nicht ausreichend problematisiert wurde. Es handelt sich um den Bereich "Mind Machines und Neues Lernen".

Der Experte L. Berger beschreibt Mind Machines als "elektronische Meditationshelfer", die mittels Licht, Ton und Farbe, mit magnetischen Feldern und bioelektrischen Impulsen Einfluß auf das Bewußtsein nehmen. Meditation, autogenes Training seien die klassischen (aber zeitraubenden) Techniken, Mind Machines und mentale Trainingssysteme erlaubten ähnliche Effekte in einer ungleich kürzeren Zeit. Der Einsatz technischer audiovisueller Stimulation führte zu: Flexibilität im Denken, Übersicht über komplexe Zusammenhänge, Überwachung der Komplexität im Mentalen als Antwort auf die Vielschichtigkeit der Aufgaben, reichhaltigem Fühlen und Intuition als komplementäre Ergänzung von Logik und Analytik, Erkennen und Erfahren unterschiedlicher Bereiche des Bewußtseins und der damit verbundenen besonderen Fähigkeiten und Qualitäten.

B. Sherman/P. Judkins erwarten den Einsatz der sogenannten virtuellen Realität (Cyberspace), die durch Computer kreiert ist, auch im psychotherapeutischen Bereich. Bereits heute werden im Internet psycho-kybernetische Trainingsprogramme zu therapeutischen Zwecken angeboten.

Es soll hier nicht diskutiert werden, welche Auswirkungen der Einsatz dieser Technologien auf das Bewußtsein hat und welche Lerneffekte aufgrund der Interaktion zwischen Mensch und Maschine bewirkt werden. Gezeigt werden soll, daß wir es hier mit einem Phänomen zu tun haben, das unsere traditionelle Unterscheidung von Geist (Bewußtsein) einerseits und Natur andererseits gänzlich sprengt. Das menschliche Bewußtsein verschmilzt gewissermaßen mit einer technischen Prothese, die es verändert und angeblich stärkt, ihm sogar auch spirituelle Erfahrung ermöglichen soll.

Unbezweifelbar ist, daß durch diese Mensch-Maschine-Interaktion ein erheblicher manipulativer Einfluß auf unser Bewußtsein ausgeübt wird. Inneres und äußeres Verhalten können hierdurch nachhaltig verändert werden. Bei labilen Personen kann es auch zu psychischen Störungen mit psychiatrischem Krankheitswert kommen.

Würde aus den derzeitigen Experimenten mit Mind Machines eine die Gesellschaft ergreifende Bewegung werden, die ihr Glück und Heil in der Benutzung dieser Bewußtseinsmaschinen sähe, verließen wir den Bereich herkömmlicher Religion, Weltanschauung und Ideologie als lebensgestaltende Form und Wirkung unserer eigenen Innerlichkeit. Anstelle von Glauben und weltanschaulicher Überzeugung als Basis für unsere Lebensgestaltung würden Naturwissenschaft und Technik, verkörpert durch das Lernlabor, als neues Glücks- und Heilserzeugungssystem treten.

Im Lernlabor würden wir nach diesem neuen Paradigma dann unseren Geist entsprechend neuester technologischer Entwicklung in der Gehirn-Bewußtseinsforschung in seiner Kapazität wie die Software eines Computers verbessern. J. Habermas hat bereits 1968 eine derartige Entwicklung vorausgesehen und als Kennzeichen der Postmoderne beschrieben.

Ein Hauptvertreter dieses neuen technologischen Menschenbildes ist Scientology. Nimmt man das Mensch-Maschine-Modell L. Ron Hubbards ernst, wie er es in seinem Buch Dianetik ausgeführt hat - vergleiche den Einsatz eines Lügendetektors als Biofeedbackgerät und das ingenieurtechnische Verständnis vom Menschen - gehört Scientology in den postmodernen Bereich, der Technik und Naturwissenschaft als Ideologie benutzt, und nicht, wie von den Religionswissenschaftlern weltwelt bis heute behauptet wird, in den Bereich von Religion als Glaube. Nach dem eigenen Selbstverständnis Hubbards sieht er sich als Psychoingenieur, der mit Ingenieurtechnik den Mensch-Computer neu programmiert und die aus perfekt funktionierenden Mensch-Computern zur Megamaschine geformte Gesellschaft sozialkybernetisch steuert.

Wo sind aber derartige Psycho- und Sozialingenieure einzuordnen? Sie gehören sicherlich nicht in den Bereich der religiösen Seelsorge, aber auch nicht in den Formenkreis (geistespsychologischer) Psychotherapie, sondern in den Bereich der Verhaltensmodifikation (Verhaltenspsychologie).

Dieser Paradigmenwechsel in unserem Selbstbild vom Menschen, der mit dem Übergang zu Wissenschaft und Technik als Ideologie verbunden ist, hat eventuell tiefgreifendere Auswirkungen als jeder Weltanschauungs- und Ideologiewechsel früherer Zeiten. Denn hierdurch wird unser derzeit gültiges zivilreligiöses Menschenbild, das im Menschen eine sich selbstbestimmende Person mit Menschenwürde sieht, ersetzt durch ein Menschenbild, das den Menschen mit einer Maschine gleichsetzt, die im Lernlabor zum richtigen Funktionieren gebracht werden muß. Anstelle von Sinnsuche ist höchstes Ziel die Erreichung perfekter Funktion. Nicht mehr "Erkenne dich selbst!" ist Leitidee, sondern "Funktioniere optimal und ökonomisch!"