5.5.5 Neu zu schaffende Rechtsvorschriften
5.5.5.1 Einrichtung einer Stiftung im Bereich "Neue religiöse und
ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen"
Einleitung
Die Diskussion um immer wieder auftretende Probleme im Zusammenhang mit den neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen hat bei der Diskussion innerhalb der Enquete-Kommission dazu geführt, sich intensiv mit den notwendigen Anforderungen zur Aufklärungsarbeit, aber auch zur möglichen Konfliktminimierung auseinander zu setzen.
Feststellbar ist, daß es sich um zahlreiche Konflikte auf individueller, familiärer und gesamtgesellschaftlicher Ebene handelt.
Die in der Bundesrepublik Deutschland tätigen privaten Beratungs- und Informationsstellen bzw. Selbsthilfegruppen stehen seit langer Zeit in der aktiven Betreuungs- aber auch Auseinandersetzungsebene mit den problematischen Gruppen.
Bei der Anhörung zu Art. 4 GG wurde von den geladenen Sachverständigen zum Thema "Staatliche Förderung privater Beratungsstellen" deutlich gemacht, daß eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit davon abhängt, wie die Beratungsstellen ihre Aufklärungsarbeit leisten.
Wie die nichtöffentliche Anhörung der "Beratungs- und Informationsstellen für sogenannte Sekten und Psychogruppen" vom 02.12.1996 ergeben hat, erachteten es auch die Vertreter der angehörten Stellen für sinnvoll, eine Stiftung zu schaffen, die übergeordnet Rechtshilfe und finanzielle Unterstützung für die Beratungsstellen selber sowie für Aussteiger und sonstige Betroffene leisten soll.
Form der Stiftung
Es sollte eine öffentlich-rechtliche Stiftung vom Bund und von den Ländern gemeinsam gebildet werden. Mit der Verknüpfung der Länder und des Bundes wird politisch bundesweit die Notwendigkeit einer gemeinsamen Herangehensweise dokumentiert. Ein wissenschaftlicher Beirat sollte die Arbeit der Stiftung begleiten.
Aufgaben der Stiftung
Die Stiftung sollte folgende Aufgabenfelder abdecken:
Schaffung eines inhaltlich und finanziell qualifizierten Rahmens für die mit der Thematik befaßten Beratungsstellen;
Anregung oder Durchführung von Forschungsarbeiten, selbständig oder durch Vergabe von Aufträgen;
systematische Erfassung des bestehenden Materials in einer Bibliothek bzw. Publikation durch neue Medien für die Allgemeinheit;
Aufklärung der Öffentlichkeit durch Publikationen, die selbst herausgegeben oder angeregt werden;
Erarbeitung und Durchführung von Fort- und Weiterbildungsprogrammen für mit der Thematik befaßte Personen;
Aufarbeitung von einschlägiger, z.B. sozialpädagogischer und psychologischer Literatur zum Thema, die in Form von Empfehlungshandreichungen an die mit der Thematik befaßten Institutionen gegeben werden kann;
Förderung des nationalen und internationalen Austauschs beispielsweise durch Fachkongresse;
Vermittlung zwischen den einzelnen mit der Thematik befaßten Stellen sowie ggf. zwischen Einzelpersonen und Beratungsstellen;
Beratung von Einzelpersonen und privaten Beratungsstellen.
5.5.5.2 Einführung einer gesetzlichen Regelung betreffend die staatliche
Förderung privater Beratungs- und Informationsstellen
Über die Rechtmäßigkeit staatlicher Förderung für eingetragene Vereine, die sich kritisch mit den Zielen und Aktivitäten neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen auseinandersetzen, hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Jahr 1992 entschieden.
Streitbefangen war im einen Fall die Förderung einer Dachorganisation als Zusammenschluß von natürlichen Personen und Vereinen, die in Deutschland und Österreich ansässig sind und sich mit Problemen der sogenannten neureligiösen Bewegungen befassen durch die Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urt. v. 27. März 1992, 7 C 21.90, in: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - Bd. 90, S. 112 ff.); im zweiten Fall ging es um die städtische Förderung eines Vereins, der als Träger der freien Jugendhilfe unter anderem Aufklärung sowie Rat und Hilfe für Betroffene im Zusammenhang mit "destruktiven Kulten" zur Verfügung stellt (BVerwG, Urt. v. 27. März 1992, 7 C 28.90). In beiden Fällen klagten von der Tätigkeit des jeweils geförderten und beigeladenen Vereins betroffene eingetragene Vereine gegen die Förderung.
In beiden Fällen erkannte das BVerwG, daß den Klägern der Schutz des Art. 4 GG zukommt.
Im ersten Fall hat das BVerwG festgestellt, daß die Beklagte durch die Förderung des beigeladenen Vereins zielgerichtet in Grundrechte der Kläger eingreife. Nach der Vereinssatzung des Beigeladenen sei es das Vereinsziel, "religiösen und ideologischen Mißbräuchen", die neuen religiösen Bewegungen unterstellt würden, entgegen zu treten und die Öffentlichkeit hierüber aufzuklären. Dieses Vereinsziel solle durch die staatliche Förderung unterstützt werden.
Für den zielgerichteten Eingriff in die Grundrechte der Kläger durch die staatliche Förderung des Beigeladenen bedürfe die Beklagte einer Ermächtigungsgrundlage. Anders als im Falle eigener Äußerungen des Staates könne eine Ermächtigung nicht in der Befugnis der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit gesehen werden. Diese Befugnis sei Ausdruck ihrer Funktion als Organ der Staatsleitung und stelle eine verfassungsunmittelbare Eingriffsermächtigung dar. Demgegenüber sei die Förderung eines privaten Vereins aus den Mitteln des Bundeshaushalts eine (echte) Verwaltungstätigkeit des Bundes. Auch unterliege der Staat, wenn er sich selbst warnend über das Wirken bestimmter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften äußere, hierbei im Interesse der betroffenen Grundrechtsträger der Pflicht zur Zurückhaltung und Sachlichkeit. Dieser rechtlichen Bindungen könne er sich nicht dadurch entledigen, daß er einen Verein fördere, dem seinerseits das Grundrecht der Meinungsfreiheit Äußerungen bis an die Grenze der Schmähkritik ermögliche. Die damit den Staat treffende Pflicht, bei Förderungsmaßnahmen der in Rede stehenden Art strikt auf Neutralität zu achten sowie im Verhältnis der Grundrechtsträger untereinander eine willkürliche oder unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts aus Art. 4 GG zu vermeiden, führe ebenfalls zum Erfordernis einer speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (BVerwGE Bd. 90, S. 112 ff., S. 124).
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, daß es an der erforderlichen Eingriffsermächtigung fehle und die Bundesregierung nicht das Recht habe, den Beigeladenen institutionell oder bezogen auf Projekte im Zusammenhang mit den Klägern zu fördern.
Ähnlich argumentierte das BVerwG auch im zweiten Fall. Die Förderung des Beigeladenen berühre das Grundrecht des Klägers auf ungestörte Ausübung des religiösen Bekenntnisses. Der Beigeladene setze sich, wie seine Publikationen und seine Aktivitäten in der Vergangenheit gezeigt hätten, entsprechend seiner Satzung mit dem Kläger kritisch bis abwertend auseinander und die Beklagte unterstütze ihn dabei durch die Fördermittel in Kenntnis dieser Zielrichtung. Die Entscheidung über die Förderung knüpfe an Inhalt und Zielrichtung der Arbeit des Beigeladenen an. Für die Förderung sei eine besondere Rechtsgrundlage in Form eines Gesetzes erforderlich. Hieran fehle es, so daß die Förderung des Beigeladenen schon deshalb rechtswidrig sei.
Die Bundesregierung hat sich zu den Auswirkungen dieser Entscheidungen schriftlich geäußert.
Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte, MdB, hat der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" mit Schreiben vom 9. Oktober 1997 mitgeteilt, die institutionelle Förderung des Beigeladenen im Verfahren 7 C 21.90 sei mit Bescheid vom 16. Juli 1992 eingestellt worden.
Darüber hinaus habe das Ministerium vor dem Hintergrund der dargestellten Entscheidungen einen Gesetzentwurf erarbeitet, der die vom BVerwG geforderte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Förderung darstellen sollte. Vorgesehen sei gewesen, § 14 des Sozialgesetzbuchs VIII (SGB VIII; Kinder- und Jugendhilfe) um einen Abs. 3 zu ergänzen mit dem Wortlaut:
"Im Rahmen der Angebote des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes sollen auch Maßnahmen durchgeführt werden, die über Aktivitäten von Gruppierungen unterrichten und aufklären, von denen Gefährdungen für junge Menschen ausgehen können (Jugendsekten und Psychogruppen)."
Die Bemühungen, eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur staatlichen Förderung privater Informations- und Beratungsstellen zu schaffen, seien bei der Ressortabstimmung indes an erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert. Nach den Darstellungen in dem Schreiben der Bundesministerin ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen generell ausgeschlossen, eine im Sinne der Urteile des BVerwG erforderliche gesetzliche Grundlage für die Förderung zu schaffen.
Die Enquete-Kommission hat sich eingehend mit der Problematik der staatlichen Förderung von Informations- und Beratungsstellen befaßt und hierzu auch die Verfassungsrechtsexperten in der Anhörung am 12. Dezember 1996 befragt. Dabei wurde einerseits von den Experten hervorgehoben, daß das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Förderung mit der Frage der mittelbaren Eingriffslatenz durch die Förderung zusammenhinge. So könne den Entscheidungen des BVerwG entnommen werden, daß beispielsweise das bloße Sammeln von Informationen durch den geförderten Verein nicht zu einem Grundrechtseingriff führe. Abgesehen von der in der Anhörung vertretenen, aber von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Auffassung, daß Art. 140 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung einen gültigen Gesetzesvorbehalt für die Religionsfreiheit darstelle, wurden gegen eine gesetzliche Regelung zur Förderung von privaten Informations- und Beratungsstellen jedenfalls dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben, wenn diese zum Schutz von durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützen Rechtsgütern erforderlich sei.
Um dieser Schutzpflicht zu genügen, sind auch solche Regelungen nicht generell ausgeschlossen, die Eingriffe in das nach herrschender Meinung schrankenlos gewährleistete Grundrecht der Religions- und Bekenntnisfreiheit darstellen. In diesem Zusammenhang hat Herzog darauf hingewiesen, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG in vorbehaltlose Grundrechte in dem Umfang eingegriffen werden darf, in dem dies zum Schutz solcher Rechtsgüter erforderlich ist, die in der Verfassung selbst verankert und dem Staat zur Beachtung aufgegeben sind. So sei der Staat nicht nur im Falle des Ritualmordes, sondern auch bei Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen im Rahmen eines Exorzismus zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit verpflichtet.
Nach den der Enquete-Kommission vorliegenden Erkenntnissen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Anwendung physischer Gewalt in neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen generell ausgeschlossen ist. Vielmehr wurde bereits im Zwischenbericht der Kommission dargestellt, daß in den Anhörungen zur Situation von Kindern und Jugendlichen in neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auch Fälle von physischer Gewalt gegen Kinder (körperliche Züchtigungen, Zwangsmeditation und sexuelle Ausbeutung) geschildert wurden. Auch fanden sich in Anhörungen über die Situation erwachsener Mitglieder von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen Hinweise auf mögliche Freiheitsberaubungen. Darüber hinaus wurde über Meditationstechniken berichtet, die positive, im Einzelfall und unsachgemäß angewendet aber auch sehr negative Auswirkungen für den Einzelnen haben könnten. In der Öffentlichkeit haben Fälle, in denen Mitglieder von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen Massenselbstmorde versucht oder begangen haben, große Aufmerksamkeit erregt.
Vor diesem Hintergrund hält die Kommission es nicht für ausgeschlossen, eine gesetzliche Regelung zu finden, die es erlaubt, eine private Beratungs- und Informationsstelle staatlich zu fördern, wenn sie sachlich und unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Freiheit des Bekenntnisses und der Religionsausübung die Öffentlichkeit oder Einzelne über möglicherweise mit dem Eintritt in bestimmte Gruppierungen verbundene Gefahren informiert und über Ausstiegsmöglichkeiten berät (vgl. hierzu auch die Handlungsempfehlung im Kapitel 6.2.2.2).
5.5.5.3 Gesetz zur Regelung der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe
In den vergangenen 20 Jahren hat sich in der Bundesrepublik Deutschland ein mittlerweile vollkommen unübersichtlicher "Psychomarkt" gebildet, dessen Expansion immer weiter fortgeschritten ist. Nach Erkenntnissen der Enquete-Kommission sind mittlerweile ca. tausend Ansätze, Methoden, Techniken und Verfahren auf diesem Markt zu erkennen. Die Angebote zielen auf Heilung bei psychischen oder psychosomatischen Störungen, Bewältigung von Lebenskrisen, Veränderung der Lebenssituation, Verbesserung der geistig-seelischen Fähigkeiten, Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit oder Konfliktbewältigung und Selbstbehauptung. Auch Seminare für Persönlichkeitstraining, die im Rahmen der betrieblichen Personalentwicklungsarbeit sehr geschätzt werden, zählen zu diesem Psychomarkt. Für diese Angebote wird mittlerweile in der Verkehrssprache der Begriff Lebensbewältigungshilfe benutzt.
Die Anbieter stammen aus völlig unterschiedlichen Bereichen. Auf dem Markt arbeiten esoterische Gruppen, Geistheilergemeinschaften und Neuoffenbarer mit Erlebnis- und Heilungsangeboten, exotische bzw. fremdreligiöse Gemeinschaften mit Erlebnis-, Meditations- und Heilungsangeboten, sogenannte Psychogruppen mit Angeboten für die Persönlichkeitsentwicklung und sogenannten Erfolgskursen sowie eine unüberschaubare Anzahl von Einzelanbietern. Ebenso unübersichtlich ist die Bandbreite von Methoden und Kombinationen aus verschiedenen Methoden, die angeboten werden. Nach Erkenntnissen der Enquete-Kommission, die durch die in Auftrag gegebene Untersuchung über den alternativen Lebenshilfemarkt gestützt werden, arbeiten die Anbieter mit einem Konglomerat vielfacher Methoden, die zumeist aus verschiedenen Bereichen stammen. Hierzu gehören unzählige Körpermethoden, bewußtseinsverändernde Techniken, kreative Methoden, esoterische Heil- oder Deuteverfahren. Daneben existieren relativ klar umrissene Methoden und Schulen. Die Zahl der Methoden entwickelt sich ständig weiter. Für den Konsumenten ist eine Orientierung auf diesem unüberschaubaren Markt weder auf der inhaltlichen noch der finanziellen Seite möglich.
So haben sich in der letzten Zeit auch Klagen der Verbraucher gemehrt, die auf negative Persönlichkeitsveränderung, schädliche Gesundheitsfolgen und finanzielle Übervorteilung abzielen. Dies liegt auch an der fehlenden Transparenz der Angebote, die dem Verbraucher ermöglichen würde, sich vor dem Vertragsabschluß mit einem kommerziellen Dienstleistungsanbieter über die Qualifikation der Anbieter, die angewandten Methoden, Dauer der Kurse und finanzielle Verpflichtungen zu informieren. Bei der Schaffung der Transparenz kann und soll es nicht um die Zerschlagung eines Marktes gehen, der das Spiegelbild eines gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Programmen zur Lebensbewältigungshilfe ist und somit entsprechend der ständig steigenden Nachfrage eine Funktion in der Gesellschaft erfüllt. Dennoch bedarf der einzelne Konsument einer Verbraucherschutzregelung, die den Konsumenten in die Lage versetzt, sich vor dem Vertragsschluß über die möglichen Folgen zu orientieren und eine auf diesen Kenntnissen aufgebaute Entscheidung für sich selbst zu treffen.
Unerforscht sind auch typische Risikoprofile von Methoden und Techniken, so daß es geschädigten Kunden nahezu unmöglich ist, Lebensbewältigungshelfer für eine Schädigung aufgrund eines Kunstfehlers haftbar zu machen. Aus diesem Grund mußte auch die im Entwurf für ein gewerbliches Lebensbewältigungsgesetz ursprünglich vorgesehene Beweiserleichterung für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch geschädigte Kunden entfallen.
Die Enquete-Kommission empfiehlt den Anbietern auf dem Psychomarkt zum Schutz ihrer Kunden eine ständige Überprüfung ihrer Angebote auf Verträglichkeit und Sicherheit auch bezüglich ungewollter Nebenwirkungen durch den Gebrauch anerkannter Qualitätssicherungsverfahren in Psychotherapie und psychosozialer Praxis, um das gesundheitliche Gefahrenpotential zu minimieren.
Da die Enquete-Kommission der Auffassung ist, daß das geltende Recht oft keinen wirksamen Schutz der Betroffenen gewährleistet, befürwortet sie, wie in Ziffer 6.2.3 ausgeführt, die Schaffung eines Gesetzes zur Regelung der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe.
5.5.5.4 Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für juristische
Personen und Personenvereinigungen
Nach derzeitiger bundesdeutscher Rechtslage gibt es keine Möglichkeit, juristische Personen und Personenvereinigungen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Das geltende Strafrecht knüpft an das individuelle Verschulden an, die Strafe setzt individuelle Schuld voraus.
Im Bereich der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen ergeben sich dort Probleme, wo Mitglieder von Gruppierungen Straftaten begehen, die mit der Zugehörigkeit zur Gruppe und der konkreten Aufgabe des Mitglieds zusammenhängen. So ist es zum Beispiel im Hinblick auf die Drogenrehabilitationseinrichtung "Narconon" zur Verurteilung eines Verantwortlichen wegen des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz gekommen. Die Art der Behandlung bei "Narconon" richtet sich aber nach Regelungen und Methoden, die aufgrund von internen Anweisungen der Scientology-Organisation vorgegeben sind. Verurteilungen dieser Art können nach dem deutschen Strafrecht jedoch stets nur individuelle Mitglieder treffen, auch wenn sie nach den Vorgaben und entsprechend der Lehre einer Vereinigung gehandelt haben.
In diesem Fall wie auch in anderen Fällen, in denen einzelne Verantwortliche strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, waren entsprechend der Gesetzeslage hinsichtlich der Strafzumessung auch die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des jeweils Beschuldigten zu berücksichtigen. Dies führt in Einzelfällen dazu, daß sich Geldstrafen an sehr geringen Einkünften orientieren müssen, obwohl die entsprechende Straftat im Auftrag oder jedenfalls im Interesse einer möglicherweise sogar internationalen und wirtschaftlich starken Organisation begangen wurde.
Darüber hinaus führt diese Rechtslage dazu, daß es für die in Frage stehenden Organisationen möglich wird, in der Öffentlichkeit zu argumentieren, die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe richteten sich nicht gegen die Organisation selbst, vielmehr handele es sich um ein bedauerliches Fehlverhalten Einzelner. Dieses Argumentationsmuster zeigte sich beispielsweise im Zusammenhang mit einer staatsanwaltlichen Durchsuchung von Räumlichkeiten der Scientology-Organisation in München wegen des Verdachts u.a. des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz.
Dieser kurze Überblick zeigt, daß der Bereich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Personenvereinigungen von Relevanz für den Problemkreis der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen ist.
Die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für juristische Personen und Personenvereinigungen war Gegenstand der Konferenz der Justizministerinnen und
-minister im Sommer 1997 und eines internationalen Kolloquiums des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Anfang Mai 1998.
Zu diesem Problem liegt ein erster Diskussionsentwurf des hessischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten vor. Wie der Bundesminister der Justiz mit Schreiben vom 18. November 1997 mitgeteilt hat, wird das Bundesministerium der Justiz sich aus rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht mit dem Problemfeld befassen. Darüber hinaus hat der Bundesjustizminister mitgeteilt, daß das Thema Gegenstand der Arbeit der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems sein wird. Die Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der SPD-Fraktion (BT-Drs. 13/9682) zu diesem Komplex liegt noch nicht vor.
Auch wenn die bisherige Diskussion zunächst den Bereich der Unternehmenskriminalität betrifft, so zeigen sich doch Parallelen zum Themenbereich der Enquete-Kommission. Zum einen können bei neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen Situationen bestehen, in denen das einzelne Mitglied aufgrund der Befolgung der Lehre und der Praktiken der Gruppe in strafrechtliche Konflikte gerät; zum anderen sind - wie im Wirtschaftsbereich - Konstellationen denkbar, in denen ein organisiertes Zusammenspiel vieler Einzelpersonen stattfindet, welches bei strafrechtlich relevanten Folgen die persönliche Einzelverantwortung der Handelnden nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit erwarten läßt.
Daher spricht sich die Enquete-Kommission für die weitere Beratung und Prüfung aus, um adäquate Regelungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen zu erreichen (vgl. Kapitel 6.2.2.4).
5.5.5.5 Schaffung eines selbständigen Straftatbestandes der Veranstaltung
sogenannter Pyramidenspiele
Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.10.1997 (5 StR 223/97) ist zwar geklärt, daß das Organisieren von sogenannten Pyramidenspielen (vgl. Kap. 5.3) als verbotene progressive Kundenwerbung (§ 6c Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) zu bestrafen ist. Dennoch empfiehlt es sich, entsprechend dem österreichischen Recht einen selbständigen Straftatbestand für die Veranstaltung von Pyramiden- bzw. Kettenspielen zu schaffen.
Das In-Gang-Setzen und die Organisierung derartiger Gewinnspiele unter unlauterem Einsatz verhaltenspsychologischer Beeinflussungstechniken zur Gewinnung von Mitspielern hat sich zu einem ernsten Problem entwickelt. Durch das In-Gang-Setzen und das Betreiben derartiger Spiele werden Millionenschäden verursacht und Bürger nicht selten in den Ruin getrieben.
Durch § 6c UWG werden die Pyramidenspiele als ein Sonderfall progressiver Kundenwerbung beim Waren- und Dienstleistungsverkauf eher zufällig erfaßt. Deshalb war es bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch strittig, ob die Veranstaltung derartiger Pyramidenspiele überhaupt unter § 6c UWG fällt. Von der derzeitigen Fassung des § 6c UWG geht daher keine klare Warnfunktion aus. Nur einem Rechtskundigen ist es derzeit möglich, Pyramidenspiele unter diese Vorschrift zu subsumieren.
Hinzu kommt, daß derzeit nur Nichtkaufleute durch § 6c UWG geschützt werden. Eine Differenzierung zwischen Nichtkaufleuten und Kaufleuten bei der Veranstaltung von Pyramidenspielen erscheint nicht gerechtfertigt. Die Beteiligung von Kaufleuten an einem Pyramidenspiel hat keinen geringeren Unrechtsgehalt als die von Nichtkaufleuten.
Zur Prävention sollten im gesetzlichen Tatbestand die verschiedenen verbotenen Beteiligungsnormen, nämlich das In-Gang-Setzen, die Werbung oder eine sonstige Förderung beschrieben werden. Schließlich sollten auch unterschiedliche Strafandrohungen nach Schwere des angerichteten Schadens geschaffen werden. Systeminitiatoren, die u.U. einen Millionengewinn machen, entfalten in der Regel eine erheblich höhere kriminelle Energie, als Spielteilnehmer, die auf einer unteren Stufe weitere Mitspieler angeworben haben. Dem trägt die Strafandrohung in § 6c UWG derzeit keine Rechnung. Zu prüfen ist auch, ob der neue Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollte.