5.5 Rechtliche Aspekte

5.5.1 Überblick über die Rechtsprechung

Bereits im Zwischenbericht ist die Enquete-Kommission an verschiedenen Stellen auf rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen eingegangen. Der Auftrag der Kommission, "Grenzen der Inanspruchnahme der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit durch neuere religiöse und weltanschauliche Bewegungen, sogenannte Sekten und Psychogruppen" aufzuzeigen, machte auch eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung erforderlich. Im folgenden wird nach einer kurzen Übersicht über die Rechtsprechung zu neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auf rechtliche Schwerpunktthemen eingegangen, auf welche die Kommission ein besonderes Gewicht legt. Die Kommission hat ihre Kenntnisse über Inhalte und Ergebnisse von Gerichtsverfahren einerseits aus Entscheidungen, welche der Bundesregierung oder Sachverständigen der Kommission bekannt waren, andererseits aus in Veröffentlichungen zitierten Entscheidungen sowie solchen Entscheidungen, die von Dritten, unter anderem Betroffenen- und Elterninitiativen, übersandt wurden, bezogen. An dieser Stelle ist keine vollständige Darstellung der vorliegenden Rechtsprechung möglich. Vielmehr sollen einerseits Entscheidungen, die grundsätzliches zu Rechtsfragen im Bereich neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen enthalten, und andererseits besondere Entscheidungen, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, dargestellt werden. So weit als möglich wurden auch Entwicklungen der Rechtsprechung im Verlauf der Diskussion um die neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen berücksichtigt.

Noch in den achtziger Jahren lag ein Schwerpunkt der juristischen Diskussion um die neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auf der Frage, ob es sich bei diesen Gemeinschaften um Religionsgemeinschaften handelt. So stellte Franz in seiner Übersicht zum Thema noch Entscheidungen dar, in denen die Gerichte sich zur Frage, ob einzelne Gruppierungen Religionsgemeinschaften seien, äußerten. Gleichzeitig griff er die damalige Diskussion auf, ob das alleinige Abstellen auf das Selbstverständnis einer Gemeinschaft für die Beurteilung der Frage, ob eine Gruppe eine Religionsgemeinschaft sei, ausreiche. Hier hat es inzwischen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine deutliche Weiterentwicklung gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die Definitionsgewalt des staatsrechtlichen Religionsbegriffs, d.h. des Begriffs "Religion" in Art. 4 GG, - als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung - beim Staat, im Streitfall letztlich bei den Gerichten liegt (BVerfG, Beschluß v. 5. Februar 1991, 2 BvR 263/86, in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE -, Bd. 83, S. 341 ff., Leitsatz 1). Hierbei ist das Selbstverständnis der betroffenen Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind indes auch objektive Kriterien, unter anderem aus der Religionswissenschaft, hinzuzuziehen. Wesentlich ist dabei, daß die Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität beachtet wird. Versuche, die Garantien religiöser Freiheit aus der Perspektive eines spezifisch christlichen Verständnisses auszulegen, stünden mit der Verfassung nicht in Einklang (s. hierzu bereits Darstellung der Anhörung der Verfassungsexperten im Zwischenbericht der Kommission, BT-Drs. 13/8170, S. 13 f.).

Verfassungsrechtlich ist auch von Interesse, wann eine Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beanspruchen kann. Die Verleihung der Körperschaftsrechte erfolgt aufgrund von Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung. Hierzu hat es erst in den neunziger Jahren ein gerichtliches Verfahren gegeben. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, daß die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas die Körperschaftsrechte nicht beanspruchen können (BVerwG, Urt. v. 26.6.1997, BVerwG 7 C 11.96, in: NJW 1997, 2396). Ausschlaggebend war hierfür, daß die Zeugen Jehovas jegliche Teilnahme an staatlichen, demokratischen Wahlen ablehnen und eine Beteiligung an Wahlen für unvereinbar mit der Mitgliedschaft in ihrer Gemeinschaft erachten. Da die Gemeinschaft die aus dem Demokratieprinzip folgenden legitimen Ansprüche des Staates an seine Bürger nicht anerkenne, könne sie nicht verlangen, von ihm als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit als sein Kooperationspartner anerkannt zu werden (BVerwG a.a.O.). Hiergegen hat die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas Verfassungsbeschwerde eingelegt, die bisher nicht entschieden ist. Die Klärung dieses Rechtsstreits könnte auch für einige andere Gemeinschaften bedeutsam sein. Im Einzelnen wird auf diese Problematik in einem folgenden Kapitel eingegangen (s. Kapitel 5.5.3.2 und das darauf bezogene Sondervotum der Arbeitsgruppe der Fraktion der SPD in der Enquete-Kommission).

Neben der Frage, wann eine Gemeinschaft eine Religionsgemeinschaft ist und ob sie die Körperschaftsrechte beanspruchen kann, ist auf zahlreichen Rechtsgebieten die Frage von Bedeutung, welche Tätigkeiten von der Religionsfreiheit geschützt sind und inwieweit das Beamtenrecht, das Arbeitsrecht, das Gewerberecht, das Vereinsrecht und andere Rechtsnormen der jeweiligen Betätigung Grenzen setzen.

So war in den achtziger Jahren im Streit, ob es Lehrern untersagt werden könne, an der Schule in Kleidung zu unterrichten, die sie als Bhagwan-Anhänger zu erkennen gebe und im Unterricht die Mala, eine zur Kleidung gehörende Holzkette, zu tragen. Nachdem in der Rechtsprechung geklärt wurde, daß das Tragen der bhagwantypischen Kleidung und der Mala untersagt werden kann, spielt dies Problem in der Rechtsprechung keine Rolle mehr. Darüber hinaus weist Scholz darauf hin, daß im Herbst 1985 die gruppen-internen Regeln, die Bhagwan-Anhängern das Tragen einer Bekleidung in roten Farbtönen und der sogenannten Mala vorschrieben, aufgehoben worden seien. Speziell den öffentlichen Dienst betreffend ist in den neunziger Jahren die Frage aufgetreten, ob es möglich ist, die Bewerber bei der Einstellung nach einer Mitgliedschaft in der Scientology-Organisation zu befragen. Diese Vorgehensweise einzelner Bundesländer war indes nach den Erkenntnissen der Kommission bislang nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen.

Sind aus den achtziger Jahren nur wenige arbeitsrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen bekannt, waren in den neunziger Jahren verschiedene arbeitsrechtliche Fragestellungen bei den Gerichten anhängig. Eine Darstellung der Situation in den achtziger und Anfang der neunziger Jahre findet sich bei Scholz. Besonders hervorzuheben ist die Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 22.03.1995, Az.: 5 AZB 21/94, in der das BAG in bezug auf die Scientology-Organisation unter anderem folgendes feststellt:

- bei dieser Organisation handele es sich nicht um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Artikel 4 Grundgesetz;

- die Organisation behandele ihre Mitarbeiter "menschenverachtend".

Für die aktuelle Entwicklung wird auf die ausführliche Darstellung in einem späteren Kapitel verwiesen (s.u., Kapitel 5.5.4.5).

Im Gaststättenrecht gab es in den achtziger Jahren einige Verfahren, in denen die Betreibung von Diskotheken durch Angehörige der damals als "Jugendsekte" bezeichneten Bhagwan/Osho-Bewegung im Streit stand. Tendenziell läßt sich feststellen, daß die Behörden verpflichtet wurden, die Gaststättenerlaubnis zu erteilen. Weder konnten die Unzuverlässigkeit des jeweiligen Geschäftsführers noch eine unangemessene Beeinflussung der Gäste im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur Bhagwan-Bewegung festgestellt werden. In neuerer Zeit war dies Problem nicht mehr Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Noch aktuell ist die insbesondere im Zusammenhang mit Scientology entstandene Auseinandersetzung darüber, ob die Berufung darauf, eine Religionsgemeinschaft zu sein, von der Verpflichtung zur Gewerbeanmeldung befreit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Gewerbe im Sinne des Gewerberechts jede nicht sozial unwertige, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe (freie wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit höherer Art sowie persönliche Dienstleistungen, die eine höhere Bildung erfordern) und bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (BVerwG, Beschluß vom 16. Februar 1995, BVerwG 1 B 205.93, Nr. 3.a. m.w.N.). Eine so umschriebene Tätigkeit bleibt nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann gewerbliche Tätigkeit, wenn sie nach dem Selbstverständnis des Betreibers eine religiöse oder weltanschauliche Zielsetzung verfolgt. Selbst wenn die wirtschaftliche Betätigung der Beschaffung der Mittel für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft diene und damit dem Schutz von Art. 4 GG unterfalle, könne dieser Schutz nicht isoliert gesehen werden. Die Berufung auf Art. 4 GG rechtfertige keine Beeinträchtigung gleichwertiger Rechtsgüter. Vielmehr seien die jeweils einschlägigen allgemeinen Gesetze in einer die Grundrechte möglichst schonenden Weise anzuwenden (BVerwG a.a.O.). Dementsprechend seien auch Gefahren, die mit einer (auch) wirtschaftlichen Betätigung einer von Art. 4 GG geschützten Gemeinschaft verbunden seien, nicht mit einer einschränkenden Definition des Grundrechtstatbestands, sondern dadurch zu bewältigen, daß die für die betreffende Betätigung einschlägigen allgemeinen Gesetze in der bereits oben erwähnten Weise angewendet würden (BVerwG, Beschluß vom 16. Februar 1995, BVerwG 1 B 205.93, Nr. 3.e). Hieraus folgend hat das Oberverwaltungsgericht Bremen in einer jüngeren Entscheidung erklärt, soweit eine Religionsgemeinschaft nach außen im wirtschaftlichen Sinne werbend in Erscheinung trete, müsse zwischen der Religionsfreiheit und gleichwertigen Grundrechtspositionen Dritter ein angemessener Ausgleich hergestellt werden. Die wirtschaftliche Betätigung einer Religionsgemeinschaft unterliege hiernach der Pflicht zur Gewerbeanmeldung (OVG Bremen, Urteil vom 25.02.1997, OVG 1 BA 46/95). Unter Bezugnahme auf die erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts führt das Oberverwaltungsgericht Bremen aus, die Gewerbeanmeldung sei wertneutral und beeinträchtige die religiöse Betätigung jedenfalls nicht nennenswert (OVG Bremen, a.a.O., S. 17).

Im Hinblick auf vereinsrechtliche Fragestellungen ist zwischen der Diskussion über das Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einerseits und dem Entzug der Rechtsfähigkeit eingetragener Vereine andererseits zu unterscheiden. Zur Frage des Vereinsverbots wird in einem eigenen Abschnitt Stellung genommen (s. Kap. 5.5.4.1).

In einem Verfahren betreffend die Entziehung der Rechtsfähigkeit eines Scientology-Vereins hat im November 1997 das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Nach § 43 Abs. 2 BGB kann einem Verein, dessen Zweck nach der Satzung nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er einen solchen Zweck verfolgt. Dementsprechend war in dem der Entscheidung des BVerwG vorausgegangenen Verfahren einem Verein, der nach seinem Selbstverständnis den Charakter einer Religionsgemeinschaft trug, die Rechtsfähigkeit wegen des Verfolgens wirtschaftlicher Zwecke entzogen worden. Das Verwaltungsgericht hatte die Klage abgewiesen, der Verwaltungsgerichtshof indes den Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und damit der Klage stattgegeben. Das Bundesverwaltungsgericht stellte die Verletzung von Bundesrecht durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs fest und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück (BVerwG, Urt. v. 6. November 1997, BVerwG 1 C 18.95). Es führte aus, Tätigkeiten eines Vereins bildeten dann einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, wenn es sich um planmäßige, auf Dauer angelegte und nach außen gerichtete, d.h. über den vereinsinternen Bereich hinausgehende, eigenunternehmerische Tätigkeiten handele, die auf die Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereins oder seiner Mitglieder abzielten. Komme indes zugunsten des Vereins das Nebenzweckprivileg zum tragen, d.h. sei die unternehmerische Tätigkeit dem ideelen Hauptzweck des Vereins zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung, bleibe der Verein Idealverein (BVerwG, a.a.O., S. 9). Anders sei der Sachverhalt zu beurteilen, wenn ein Verein seinen Mitgliedern als Anbieter von Leistungen gegenüber trete, die unabhängig von mitgliedschaftlichen Beziehungen üblicherweise auch von anderen angeboten würden. So beschaffene Vereine, wie z.B. Konsumvereine oder Buchclubs, seien auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet (BVerwG, a.a.O., S. 10). Im Einzelfall hielt das BVerwG in tatsächlicher Hinsicht für nicht ausreichend geklärt, welcher Art die Tätigkeit des in Frage stehenden Vereins war. Jedenfalls blieb nach Auffassung des Gerichts die Tatsache, daß der Verein sich als Religionsgemeinschaft verstand, ohne Bedeutung für die Entscheidung (BVerwG, a.a.O., S. 15). Der weitere Gang dieses Verfahrens wird für den juristischen Umgang besonders mit der Scientology-Organisation bedeutsam sein.

Mit der Frage nach gewerblicher Betätigung hängt auch die Problematik zusammen, ob Gruppierungen für das Werben von Mitgliedern auf der Straße durch Ansprechen von Passanten u.ä. einer erlaubnispflichtigen Sondernutzung nachgehen. Hierzu hat es eine Reihe von Gerichtsverfahren gegeben. Bereits Mitte der achtziger Jahre hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit einer Gruppierung, die für ihre Tätigkeit den Schutz der Religionsfreiheit beanspruchte, entschieden, daß das Ansprechen von Passanten, um ihnen nach Durchführung eines Persönlichkeitstests Bücher und Dienstleistungen gegen Entgelt anzubieten, vom verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsausübung nicht mehr gedeckt werde (BVerfG, Beschluß vom 29. Juli 1986, 1 BvR 476/86). Die Werbetätigkeit habe im konkreten Fall keinerlei Wesensmerkmale aufgewiesen, die eine Missionierungsabsicht zum Ausdruck gebracht hätten. Die Beschwerdeführer beriefen sich insofern zu Unrecht auf ihr Recht, ihre religiöse Überzeugung verschweigen zu dürfen. Zwar werde ihnen dieses Recht nicht bestritten, aber wer das grundrechtliche Privileg der Religionsausübung in Anspruch nehmen wolle, müsse seine religiösen Überzeugungen zwangsläufig offenbaren (BVerfG, a.a.O.).

Das BVerwG hat darauf hingewiesen, soweit eine vom Landesrecht als Sondernutzung qualifizierte Straßennutzung als Ausübung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts der Glaubensfreiheit zu werten sei, gälten dieselben bundesrechtlichen Grundsätze, die das Gericht in ständiger Rechtsprechung zur ebenfalls vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit für Fälle der Straßenkunst entwickelt habe (BVerwG, Beschl. v. 04.07.1996, 11 B 23/96, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1997, S. 406 ff., 407). Das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis sei grundsätzlich mit diesen Grundrechten vereinbar. Ergebe die Einzelfallprüfung, daß die beabsichtigte Straßenbenutzung weder die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer, noch das Recht auf Anliegergebrauch noch andere Grundrechte ernstlich beeinträchtige, so bestehe in aller Regel ein Recht auf Erlaubniserteilung. Daß die Straßenbenutzung nicht nur "Missionierung" sondern auch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen bezwecke, könne nach den konkreten Umständen des Falles für die Beurteilung des Störungsgrades dieser Tätigkeit im öffentlichen Verkehrsraum von Bedeutung sein. Ohne Einfluß auf die Beurteilung seien indes bloße erwerbswirtschaftliche Motive, die in den konkreten Umständen der Straßennutzung nicht hervorträten (BVerwG, a.a.O:).

In einer Auseinandersetzung mit einem inhaltlich mit Scientology im Zusammenhang stehenden Verein, der sich die Aufdeckung von Mißständen in der Psychiatrie zum Ziel gesetzt hatte und nicht den Schutz von Art. 4 GG beanspruchte, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das Verteilen von Informationsbriefen über Medikamente und ähnliches an Passanten sei von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Eine Grundrechtsverletzung liege jedenfalls darin, diese Betätigung als erlaubnispflichtig anzusehen, wenn das anzuwendende Landeswegegesetz keinen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis einräume. Eine Auslegung und Anwendung des Wegegesetzes, die die Gestattung von Betätigungen der Freiheit, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten, in das freie Ermessen der Exekutive stelle, sei mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar (BVerfG, Beschluß vom 18. Oktober 1991, 1 BvR 1377/91).

Strafrechtliche Verfahren sind nur vereinzelt bekannt geworden, was auch an der Veröffentlichungspraxis der Instanzgerichte liegt. Mitglieder der Gruppe um "Sant Thakar Singh" wurden Mitte der neunziger Jahre wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen verurteilt (Amtsgericht Starnberg, Urt. v. 29.11.1994 - Datum der letzten mündlichen Verhandlung - , Az. 3 Ds 21 Js 3205/93). Im Zusammenhang mit Äußerungen und Veröffentlichungen ist es zu Verurteilungen einzelner Scientologen wegen Beleidigungen gekommen. In einem Verfahren erfolgte die Verurteilung im Zusammenhang mit der Verbreitung der Scientology-Broschüre "Haß und Propaganda" (Landgericht Hamburg, Urteil vom 20. März 1995, 709 Ns 67/94). In einem anderen Fall wurde ein hochrangiger Scientologe - Vizepräsident eines Scientology-Vereins und langjähriger Pressesprecher - wegen schwerer Beleidigung eines evangelischen Pastors verurteilt. (Landgericht Hamburg, Urt. v. 16.12.1994, Az. 701 Ns 151/94). Ferner sind die Aktivitäten der Scientology-Unterorganisation "Narconon" Gegenstand einer Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz gewesen, da insoweit ohne die erforderliche Erlaubnis Heilkunde ausgeübt wurde (Amtsgericht Miesbach, Urteil vom 12. Januar 1995, Cs 65 Js 21802/90). Im übrigen ist auf eine Verurteilung zweier Scientologen wegen Steuerhinterziehung hinzuweisen, die Steuerbeträge in Millionenhöhe nicht abführten und dabei zugleich erhebliche Geldsummen an die Scientology-Organisation zahlten (Landgericht Rostock, Urteil vom 29. August 1994, II KLs 13/94 (Hi)). In einem weiteren Verfahren wurde ein Scientologe wegen Bedrohung verurteilt, nachdem er einem Kritiker angekündigt hatte, er werde ihn umbringen (Amtsgericht Heidelberg, Urteil vom 28. November 1995, 7 Cs 15 Js 4193/95).

Öffentlich bekannt geworden ist der Streit um die Kündigung von Konten der Scientology-Organisation durch die Postbank AG. Der Antrag der Scientology-Organisation auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zur Fortführung der Konten bis zur Entscheidung in der Hauptsache war letztlich erfolglos. Das Landgericht Stuttgart kam zu dem Ergebnis, die Kündigung der Konten sei wirksam, da nicht erwiesen sei, daß es für die Scientology-Organisation keine zumutbare gleichwertige Alternative gebe, den bargeldlosen Zahlungsverkehr abzuwickeln (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 6. September 1996, 27 O 343/96).

Zivilrechtliche Verfahren gab es darüber hinaus auch um die Rückzahlung von Geldleistungen, die an eine Gruppierung gezahlt worden waren. Scholz weist unter Bezugnahme auf Gerichtsentscheidungen aus den achtziger Jahren darauf hin, die Rechtsprechung sei in der Frage einer Zurückzahlungspflicht für Kursgebühren und ähnliches eher zurückhaltend. In jüngster Zeit ist einer Aussteigerin aus der Scientology-Organisation vom Landgericht Hamburg Prozeßkostenhilfe in einem Verfahren verwehrt worden, in dem es um die Rückerstattung von 111.000 DM ging, die die Klägerin von 1987 bis 1992 an die Organisation gezahlt hatte (Landgericht Hamburg, Beschluß vom 5. Januar 1998, 330 O 169/97). Zur Begründung führt das Gericht an, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Unter Verkennung entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung geht das Gericht überraschenderweise in der Begründung der Entscheidung unter anderem von der fehlerhaften Feststellung aus, die Scientology-Organisation sei "als Religionsgemeinschaft anerkannt". Auch führt es aus, das Ausnutzen einer besonderen seelischen Zwangslage allein sei nicht ausreichend, um die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts aufgrund Sittenwidrigkeit zu begründen. Der Presse war zu entnehmen, daß beabsichtigt ist, gegen die Entscheidung Beschwerde einzulegen.

Nicht alle Verfahren um die Rückzahlung von Leistungen sind derartig erfolglos geblieben. So hat das Landgericht München I die Scientology Organisation bereits 1993 zur Rückzahlung von 28.934,38 DM an ein ehemaliges Mitglied verurteilt (Urteil vom 9. November 1993, 28 O 23490/92). Das Gericht stellte fest, die Scientology-Organisation habe bei dem Empfang des Geldes gegen die guten Sitten verstoßen und sei deshalb nach §§ 817, 138 Abs. 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Zwar sah das Gericht die Organisation als "Kirche" an, stellte indes fest, daß der Kläger sein Geld im Vertrauen darauf, daß es sich um wissenschaftlich abgesicherte Methoden handele, in das Angebot der Organisation investiert habe. Der Kläger habe sich von Anfang an auf die Schriften Hubbards bezogen. Demgegenüber könne die Scientology-Organisation nicht durchdringen mit dem Vortrag, die Wirksamkeit der Methoden sei maßgeblich vom Glauben daran abhängig. Sei die "Kirche" dieser Auffassung, habe sie die Verpflichtung, jeden Bewerber, der sich auf das Buch "Dianetik" beziehe und die Wissenschaftlichkeit der Methode erwarte, darauf hinzuweisen, daß der Erfolg der Methode nicht auf dem Gebiet der Medizin sondern auf einem nicht weiter nachprüfbaren Gebiet liege, das man als Religion oder Weltanschauung bezeichnen dürfe (Landgericht München I, a.a.O, S.10). Ein sittenwidriges Verhalten sei insbesondere darin zu sehen, daß die Organisation die "Gläubigen" systematisch bedränge, sich zur Erreichung höherer Grade der Vollkommenheit von namhaften Geldbeträgen zu trennen und diese der Organisation zuzuwenden, nachdem zuvor die "Gläubigen" unter Verwendung einer Art Lügendetektor (E-Meter) veranlaßt worden seien, der Organisation ihre Lebensverhältnisse sowohl finanzieller Art als auch des Seelenlebens umfassend anzuvertrauen und hierüber Dossiers gefertigt würden (Landgericht München I, a.a.O, S. 15). Nachdem die Scientology-Organisation zunächst das Oberlandesgericht gegen diese Entscheidung angerufen hatte, nahm sie sie schließlich weitgehend an. Insgesamt läßt sich nach wie vor feststellen, daß es keine einheitliche Tendenz in der Rechtsprechung zur Frage der Rückzahlung von Leistungen gibt.

Im Sorge- und Umgangsrecht hat sich eine Tendenz herausgebildet, die aus der Darstellung im Zwischenbericht zu den Anhörungen mit dem Thema "Zur Situation von Kindern und Jugendlichen in sogenannten Sekten und Psychogruppen" deutlich wird. Die bereits dort dargestellten Entscheidungsmaßstäbe, wonach allein aus der Zugehörigkeit eines Elternteils zu einer neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaft oder Psychogruppe nicht auf dessen Erziehungsunfähigkeit geschlossen werden kann, sind auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Ergebnis bestätigt worden. Im Streit stand die Übertragung der nachehelichen elterlichen Sorge auf eine Mutter, die Zeugin Jehovas war. Der Oberste Gerichtshof von Österreich hatte die Entscheidungen der unteren Instanzen aufgehoben und die nacheheliche elterliche Sorge dem Vater übertragen, da die Mutter den Zeugen Jehovas angehörte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen habe. Ungeachtet anderer möglicher Gründe für eine solche Entscheidung sei das Abstellen allein auf die Religion nicht akzeptabel. Insbesondere stellte der Europäische Gerichtshof eine Verletzung von Art. 8 und 14 der Konvention fest (Entscheidung vom 23. Juni 1993, Case No. 15/1992/360/434). Entsprechend diesem Grundsatz, bei der Entscheidung über das Sorge- und Umgangsrecht nicht inhaltlich auf die Religionszugehörigkeit, sondern auf die Auswirkungen von Erziehungsstilen auf das Kindeswohl abzustellen, sind die Gerichte in den bisherigen Verfahren zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen, die stark einzelfallbezogen zu sehen sind. Hierzu wird verwiesen auf die Darstellung im Zwischenbericht der Kommission (Anhang zum Arbeitskreis 4, "Kindeswohl/Kindesmißbrauch", Teil A).

Schließlich betrifft eine kaum überschaubare Anzahl von Gerichtsverfahren die Zulässigkeit von kritischen Äußerungen über Gruppierungen. Insbesondere einzelne Gruppierungen haben sich in zahlreichen Verfahren gegen Äußerungen über sie in staatlichen Warnbroschüren, in Antworten der Bundesregierung oder der Landesregierungen auf kleine oder große Anfragen, in Zeitungen oder Zeitschriften, im Rundfunk und Fernsehen, in Stellungnahmen der Kirchen oder deren Weltanschauungsbeauftragten, in Büchern und in Äußerungen von sonstiger Seite gewandt. Der Ausgang dieser Verfahren ist unterschiedlich, wobei Unterlassungsansprüche häufiger zurückgewiesen als anerkannt werden. Die Gerichte messen in zivilrechtlichen Verfahren die strittigen Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen des Äußerungs- und Presserechts. Die Mehrzahl äußerungsrechtlicher Verfahren führt deshalb nicht zum Erfolg, weil entweder angegriffene Tatsachenbehauptungen sich als belegbar herausstellen, oder weil die angegriffene Äußerung als grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung eingestuft wird. Soweit sich Verfahren gegen unwahre bzw. nicht beweisbare Tatsachenbehauptungen richten, können sie erfolgreich sein.

Die gleichen Grundsätze gelten allerdings auch für den Rechtsschutz gegen unsachliche, beleidigende und diffamierende Äußerungen einzelner Gruppen gegen ihre Kritiker. Es ist in erster Linie die Scientology-Organisation, die kritische Gruppen und einzelne Kritiker in zahlreichen, oft im Ausland hergestellten und vom Ausland aus verschickten Schmähschriften persönlich angreift und herabzusetzen versucht. Dies entspricht den Handlungsanweisungen des Gründers der Organisation, L. Ron Hubbard.

Auch hier stellt es sich für die Angegriffenen nicht immer als leicht dar, gegen absichtsvoll zusammengefügte Unterstellungen und negativ wirkende Assoziationen (beispielsweise mit den Judenverfolgungen im Dritten Reich) Unterlassungsansprüche durchzusetzen.

Soweit es um staatliche Äußerungen über neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen geht, wird auf die Darstellung zur staatlichen Informations- und Beratungsarbeit verwiesen (s. Kap. 4.1).