5.3 Wirtschaftliche Aspekte
5.3.1 Einleitung
Bereits im Zwischenbericht der Enquete-Kommission wird auf die wirtschaftlichen Betätigungsfelder der neuen religiösen und ideologischen gemeinschaften und Psychogruppen eingegangen. Die Enquete-Kommission hat sich in einer Reihe von Anhörungen sowie in einer schriftlichen Befragung von Wirtschaftsverbänden mit dem Einfluß neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen in der Wirtschaft befaßt.
Weiterhin wurde die zu diesem Bereich vorhandene Literatur in die Auswertung mit einbezogen. Hierzu muß angemerkt werden, daß es bisher keine zusammenfassende systematische Darstellung gibt. Am häufigsten wird die Thematik am Einzelfall im Zusammenhang mit einzelnen Gruppierungen in den entsprechenden Publikationen abgehandelt. Der weitaus größte Teil dieser Darstellungen bezieht sich auf die Scientology-Organisation. Allerdings werden in den letzten Jahren zunehmend unterschiedliche Anbieter auf dem in den vergangenen 25 Jahren entstandenen sogenannten Psycho- und Lebenshilfemarkt kritisch hinterfragt. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang Anbieter gemeint, die Seminare und Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung und/oder Unternehmens- und Managementberatung betreiben. Die neuere Auseinandersetzung beschäftigt sich darüber hinaus mit dem Gebaren von Strukturvertrieben/Multi-Level-Marketing-Firmen, deren krasseste Form die sogenannten Schneeballsysteme sind.
Festzuhalten ist, daß die Übergänge zwischen als neue religiöse und idelogische Gemeinschaften und Psychogruppen zu qualifizierenden Organisationen und in der Wirtschaft auftretenden Trainingsschulungs- oder auch Direktvertriebsunternehmen fließend sein können, bzw. die bei neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen aufzufindenden Methoden auch in speziellen Firmen Anwendung finden.
Als problematisch erweisen sich folgende Felder:
- Verstöße gegen sozial- und arbeitsrechtliche Bestimmungen,
- die Gefahr unzulässiger Informations- und Datenerhebung,
- der Versuch, durch Kooperation in einem bestimmten Marktsegment eine starke Position zu erreichen, z.B. Umwandlungsmarkt von Miet- in Eigentumswohnungen,
- die Gefahr von Handlungen einzelner Mitglieder/Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen oder auch Firmen im Hinblick auf Wirtschaftskriminalität,
- die bewußte wirtschaftliche Schädigung unerfahrener oder in solchen Dingen weniger erfahrener Bürger einschließlich der Anwendung dubioser und fragwürdiger Mittel und Methoden,
- das durch verdecktes Vorgehen von Gruppen und entsprechende Gegenmaßnahmen wachsende gegenseitige Mißtrauen einschließlich der Gefahr von Imageschäden durch die Verbreitung von Gerüchten über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation.
Der Enquete-Kommission liegen durch zahlreiche Einzelfälle dokumentierte Erkenntnisse vor, in denen Firmen und/oder Einzelne durch neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen geschädigt worden sind.
Die Betätigungsfelder und die damit auftretenden Problemstellungen für einzelne Personen, aber auch für Firmen, sind zum Teil branchenspezifisch unterschiedlich. Feststellbar ist, daß verschiedenste Gruppen über Schulungen, Management und Trainingsschulungen versuchen, Personen zu erreichen, die für ihre Organisation als Mitglieder finanziell potent und/oder auch für die Verbreitung der Ideologie und Technologie der Gruppe von Wichtigkeit sein können. Gleichzeitig werden in diesen Fällen über diese Trainings- und Schulungsprogramme und Verhaltensformen die Ideologie und Verhaltensformen der jeweiligen Gruppe in die Wirtschaft eingeführt. Zu unterscheiden ist hier sicherlich zwischen den Ansätzen von Trainingsprogrammen zur Menschenführung und anderen Bereichen. Denn problematisch kann es insbesondere immer dann werden, wenn über das "Kopftraining" der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Realitätsverlust hinsichtlich der Zugehörigkeit zu der Gruppe so weit fortschreitet, daß die Bindung an die Gruppe stärker wird als die Ausrichtung an allgemein anerkannten Regeln und Zielen einer ökonomischen und sozialen Betriebsführung. Damit verbunden ist in der Regel dann auch ein Loyalitätsverlust gegenüber dem Arbeitgeber. Dies kann für das entsprechende Unternehmen bis hin zu der Gefahr führen, daß Betriebsgeheimnisse verraten werden.
Es gilt also aufzuzeigen, daß Mitglieder bestimmter problematischer Gruppen nicht nur im wirtschaftlichen Bereich tätig sind, um ihrer Gruppe Geld zukommen lassen zu können, sondern daß wirtschaftliche Betätigung zur Strategie einer Gruppe gehören kann. Das heißt auch, daß auf den ersten Blick unauffällig wirkende Firmen in Wahrheit die Ideologie der jeweiligen Gruppe in die Wirtschaftswelt hineintragen können oder sollen.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Situation der Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in den entsprechenden Firmen. Die Abhängigkeit vom System und der Ideologie der Gruppe beinhaltet die Möglichkeit der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften bzw. Mindestbedingungen. Bei bestimmten Gruppen ergibt sich diese Vorgehensweise aus dem System. Dies reicht von Scheinselbständigkeit mit den damit für den einzelnen verbundenen bekannten Problemen bis hin zur Verstrickung der Mitarbeiter/Mitglieder in kriminelle Handlungen.
Will man dem Gesamtphänomen gerecht werden, muß eine Differenzierung vorgenommen werden. So muß auch der sich in der Bundesrepublik Deutschland immer weiter ausbreitende Markt im Bereich sogenannter Strukturvertriebe oder Multi-Level-Marketing-Systeme in diesem Zusammenhang beleuchtet werden.
Denn hier wirken gleiche oder ähnliche Mechanismen zur Ideologisierung und psychischen Bindung der Mitarbeiter, die, verbunden mit der spezifischen Form des Firmen- oder Systemaufbaus, besonders im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich (z.B. Scheinselbständigkeit) zu massiven Problemen für die Betroffenen führen können.
5.3.2 Beispiele für Vorgehen in der Wirtschaft
A. Scientology-Organisation
Die auf dem "Psychomarkt" als Anbieter auftretenden Vereine der Scientology-Organisation sind entsprechend dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Hamburg im Verfahren Scientology-Kirche Hamburg e.V. vom 6. Juli 1993 als mit Gewinnerzielungsabsicht tätige Gewerbebetriebe einzustufen. Das Gericht hat in seiner damaligen Presseerklärung anläßlich der Urteilsverkündung ausgeführt:
"Für eine Gewinnerzielungsabsicht beim Buchverkauf und bei den Kursen spricht insbesondere das von der Scientology-Kirche angestrebte Ziel, seine Mitglieder zum Kauf weiterer Bücher und vor allem zur Teilnahme an weiteren stets kostspieligeren Kursen zu veranlassen. ... Das Gericht hat vielmehr den Eindruck gewonnen, daß die Scientology-Kirche bestrebt gewesen sei, ihre Einnahme zu verschleiern ... ."
Neben der damit offenkundig gewerblichen Betätigung der als Vereine in der Bundesrepublik Deutschland auftretenden Einheiten von Scientology ist aber darüber hinaus auf die Dachorganisation für privatwirtschaftliche, der Scientology-Organisation zuzurechnende Firmen besonders einzugehen:
World Institute of Scientology Enterprises (WISE)
Wie alle Bereiche der Scientology-Organisation ist WISE international, kontinental, national und regional durchorganisiert. Der leitende Direktor International für WISE ist Mitglied des sogenannten Watch-Dog Commitee (Wachhund-Komitee). In diesem Gremium ist die internationale Führungsebene von Scientology vertreten.
Der zur Zeit für WISE amtierende Internationale Direktor hat die Aufgaben von WISE auf einer Jahresfeier der International Association of Scientologists bereits 1990 wie folgt benannt:
"... Wir haben mittlerweile viele Einflußbereiche innerhalb der Gesellschaft durch die Anwendung der L.R.H. (L. Ron Hubbard)-Technologie auf vielen verschiedenen Gebieten. Solch ein Gebiet ist die Geschäftswelt, in der wir einen Dschungel von Out-Ethik und willkürliche Lösungen durch die standardgemäße Verwaltungstechnologie von L. Ron Hubbard ersetzen. Das geschieht durch das World Institute of Scientology Enterprises = WISE. WISE hat die Zielsetzung, Ethik in die Geschäftswelt einzuführen und durch die Verbreitung von L.R.H.'s Errungenschaften auf dem Gebiet der Verwaltung Vernunft walten zu lassen. Mit tausenden von Mitgliedern in mehr als 22 Ländern verschafft sich WISE einen immer größer werdenden Einfluß auf die Gesellschaft. Eine Anzahl großer Weltfirmen haben von WISE-Mitgliedern Dienstleistungen erhalten. ..."
In internen WISE-Unterlagen wird der Aufgabenbereich dieses Wirtschaftsdachverbandes folgendermaßen umschrieben:
"... WISE ist eine Vereinigung von Menschen, die im Geschäftsleben stehen, und die die LRH-Verwaltungstechnik als Teil ihres täglichen Lebens nutzen. Sie ist die mächtigste Management-Technik, die heutzutage eingesetzt wird. Bei regelmäßiger Anwendung beschert sie jedem Geschäft &endash; gleich welcher Art &endash; einen kräftigen Aufschwung. Obwohl die LRH-Verwaltungstechnik auf verschiedene Arten genutzt wird, kann man jede Geschäftstätigkeit in geeigneter Weise der richtigen WISE-Kategorie und &endash;Klassifizierung zuordnen. Jede Mitgliedschaftskategorie und &endash;klasse hält für die Mitglieder spezifische Leistungen bereit. ..."
Abgeleitet von diesen internen Anweisungen sind die Einflußbereiche je nach Kategorie und Mitgliedschaft innerhalb von WISE definiert.
So kommt z.B. der sogenannten "Unternehmensmitgliedschaft" folgende Aufgabe zu: "Diese Art von Mitgliedschaft umfaßt alle Firmen, Gesellschaften, öffentliche Dienstleistungsunternehmen und/oder Organisationen, die Mitglied bei WISE sein möchten, um ihre Arbeitsbedingungen durch die standardgemäße Anwendung der Verwaltungstechnologie von L.R.H. zu verbessern und diese Technologie in der Geschäftswelt im allgemeinen zu verbreiten."
Den innerhalb der WISE-Organisation hochrangigsten Mitgliedern, den sogenannten Chief Executive Officers (CEOs), wird folgende Aufgabe zugeordnet: "Diese Mitgliedschaft ist für diejenigen zweckmäßig, die strategisch daran arbeiten, die Verwaltungstechnologie von L.R.H. in Spitzenunternehmen ihres Landes, anderen Vereinigungen, Gemeinden, Ländern und Regierungen einzuführen."
Die Aufgabenbeschreibung für WISE muß als Strategie zur Unterwanderung der Wirtschaft bezeichnet werden. Insbesondere die Formulierung des obersten Verantwortlichen, die Aufgabe von WISE sei, "Ethik" in der Geschäftswelt zu etablieren, muß als Beleg dafür gelten (wobei die scientologische Definition von Ethik gemeint ist).
Welche Gefahren dies für die Wirtschaft bedeuten kann, hat unter dem Abschnitt "Allgemeine wirtschaftliche Betätigung von Scientology-Mitgliedern in Deutschland" bereits der Unterausschuß "Strafrecht" in seinem Bericht an die 64. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 17. Mai 1993 festgestellt:
"... Es besteht jedoch im Hinblick auf die absolute Unterordnung des Einzelnen unter die Hierarchie der Scientology-Organisation die Gefahr, daß auch das Schicksal des von einem Scientologen gesteuerten Wirtschaftsunternehmens nicht nach den allgemeinen Bedingungen des Marktes, sondern nach Gesichtspunkten des Wohls der Organisation bestimmt wird mit unabsehbaren Folgen für Arbeitnehmer und Vertragspartner. ..."
Ein markantes Beispiel für den Umgang mit Mitarbeitern findet sich in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 22.03.1995. Unter anderem hält es das BAG für "menschenverachtend", "daß und wie der Beklagte seine Mitarbeiter zu immer neuen Höchstleistungen treiben will. ( ... ) Wer eine solche - an ein "Schneeballsystem" erinnernde - Methode auf sich anwendet oder anwenden läßt, läuft Gefahr, erhebliche gesundheitliche Schäden davon zu tragen". Der Kläger jenes Verfahrens war in einem Umfang von rund 60 bis 100 Stunden pro Woche für die Hamburger Scientology-Niederlassung tätig. Urlaub wurde höchstens für 14 Tage im Jahr gewährt, wobei die Wahl des Urlaubsortes, der Urlaubsinhalte nicht frei war, sondern von der Organisation vorgeschrieben und genehmigt werden mußte. Für diese Arbeitsleistung wurden Jahresgehälter zwischen DM 4.030,- und DM 5326,50 gezahlt. Im Gegenzug hatte der Mitarbeiter vor Beginn seiner Mitgliedschaft für Kurse und Kursmaterialien der Organisation 17.449, - DM zahlen müssen. Das BAG qualifizierte diese Tätigkeit als Arbeitsverhältnis mit der Folge, daß von der Organisation angemessener Arbeitslohn zu zahlen und arbeitsrechtliche Mindeststandards - z.B. die Beachtung des Bundes-Urlaubsgesetzes - einzuhalten sind. Im Zusammenhang damit stellte das BAG ausdrücklich fest, daß die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten nicht zur Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen führen darf. Ferner, daß der Verein "Scientology-Kirche Hamburg e.V." keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Artikel 4, 140 GG und Artikel 137 WRV ist.
Es handele sich vielmehr um eine Organisation mit kommerziellem Charakter und menschenverachtenden Anschauungen. Über diesen Fall hinaus sind der Kommission Fälle bekannt, in denen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen bzw. Auszubildende in scientologisch geführten Unternehmen dazu veranlaßt worden sind, umfangreiche Kurse bei der Organisation zu nehmen und sich dafür auch hoch zu ver- bzw. zu überschulden. Ein solches Verhalten widerspricht eklatant arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Vor allem dem Verbot der weltanschaulichen Werbung am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber.
B. Kaizen Academy
Als Ergebnis der Berichte in den Medien, der Analyse vorliegender Unterlagen und der Auswertung der Anhörung von einer Betroffenen ist diese Gruppe als eine Mischform von Strukturvertrieb (in Form des Schneeballsystems), zu lernenden Psychotechniken und ideologischem Hintergrund zu bezeichnen.
Kaizen oder die LEADERSHIP Academy AG gehört in ihren Werbemethoden zu den Vertriebssystemen, die dem Anzuwerbenden für die zu zahlenden Gelder keine Produkte anbietet. Im Vergleich zu Direktvertriebssystemen, die ihren Kunden und späteren Vertreibern zumindest eine Produktpalette verkaufen, die dann von Einzelnen vertrieben werden sollen, wird bei diesem Firmengeflecht von den Mitgliedern eine bestimmte Geldsumme erwartet für das alleinige Versprechen, diese würde sich später so vermehren, daß jeder Einzahler im großen Maße davon partizipieren könne.
Mit dem Erwerb eines Partizipationsscheines ist in der Regel verbunden, daß die Geworbenen Seminarleistungen der Gruppe in Anspruch nehmen. Seminare wie z.B. Success-Training, Delphin-Strategie-Seminar oder Feuerlauf-Seminar sind die zu absolvierenden Angebote, die laut interner Werbung zum Gesamtsystem gehören. In einem Schreiben an die Mitglieder/Mitarbeiter von 1996 heißt es:
"Der ganze Firmenaufbau ist insbesondere auf die aktive Schulung vieler Geschäftspartner in den umfangreichen Seminaren zurückzuführen. Der regelmäßige Besuch des vielfältigen und hochwertigen Trainingsangebotes hat viel zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Teamgeist beigetragen."
Im Gegensatz zu auch bereits die Strafrechtssprechung beschäftigenden Strukturvertriebsarten im Sinne eines Schneeballsystems, wie es auch bei Kaizen praktiziert wird (möglicher Verstoß gegen § 6c UWG), verbinden sich hier weitere Elemente, die den Schluß zulassen, daß Kaizen ein in sich geschlossenes System ist, das viele methodische Ansätze, die von anderen Psychogruppen bekannt sind, beinhaltet:
So werden die Angeworbenen bei Kaizen einer Schulung zugeführt, die auch in anderen Bereichen zur Persönlichkeitsentwicklung angewendet werden. Als Methode wird dabei auf das Neurolinguistische Programmieren (NLP) zurückgegriffen. Die Werbematerialien des NLP-Trainers für die Kaizen-Mitglieder/Mitarbeiter beinhalten u.a. dann auch die NLP-Rhetorik-Kurse sowie das mentale Training auf NLP-Art.
Hinsichtlich des ideologischen Hintergrunds berichteten ehemalige Kaizen-Anhänger, daß ihnen insbesondere das Buch "Geschichte der Geheimgesellschaften" von Jan van Helsing als wichtige Lektüre empfohlen worden sei. Die genannte Veröffentlichung Jan van Helsings hat antisemitische Inhalte und ist derzeit in der Bundesrepublik Deutschland wegen rechtlicher Auseinandersetzungen nicht erhältlich.
Wie auch in anderen Psychogruppen wird bei Kaizen auf totale Expansion der eigenen Gruppe gesetzt. So werden an die Mitglieder/Mitarbeiter "Motivationsschreiben" mit unrealistischen Hinweisen auf einen zu erreichenden Umsatz bei der Seminarvermittlung und Vermittlung von Devisenvolumen sowie eine vermeintlich erreichbare materielle Unabhängigkeit verschickt. Dem Einzelnen wird durch die Gesamtkonstellation bei Kaizen vermittelt, er partizipiere persönlich auch am Gewinn des Gesamtunternehmens.
In der Vergangenheit gerieten bereits Vereinigungen, die im Schneeballsystem Finanzanlagen betrieben, ins Visier der Öffentlichkeit, aber auch der Strafverfolgungsbehörden. Berücksichtigt man zudem das umgesetzte Finanzvolumen, muß festgehalten werden, daß es sich bei Kaizen um eine auf Expansion ausgerichtete problematische Gruppe handelt, die durch ihr Gebaren individuellen sowie gesamtwirtschaftlichen Schaden anrichtet. Das System Kaizen und die dort angewandten Praktiken müssen daher, aber auch wegen der feststellbaren Abhängigkeiten der Mitglieder/Mitarbeiter von dem System, weiter kritisch betrachtet werden.
C. Holistisches Isis-Zentrum
Es gibt zahlreiche esoterische und "spirituelle" Schulungsangebote, bei denen es zu vielfältigen Problemen kommt. Das Psychologische Trainingszentrum (Holistisches Isis-Zentrum) ist dafür ein aktuelles Beispiel.
Dessen Leiterin, die Diplom-Psychologin H. Fittkau-Garthe, gehörte jahrelang zur Brahma Kumaris. Das Holistische Isis-Zentrum wurde von ihr nach ihrer Trennung von Brahma Kumaris gegründet, als sie selbst nach und nach göttliche Verehrung in Anspruch nahm.
Das Psychologische Trainingszentrum in Hamburg wurde auf der Grundlage der Erfahrungen von Frau Fittkau-Garthe bei Brahma Kumaris aufgebaut. Es bot Schulungen für die Wirtschaft an und gab weiterhin einen "Leitfaden für Führungskräfte" heraus, der die Hintergrundideologie der Seminarangebote darstellte.
Unter dem Titel "Geistige Gesetze in praktischer Anwendung" wurden Führungskräfte in der Wirtschaft zu Meditationstechniken mit spirituellen Ideen im Sinn von Frau Fittkau-Garthe hingeführt. Die Teilnehmer gehörten meist wirtschaftlich gutgestellten Kreisen an.
Auch in diesem Fall war für die Umworbenen nicht gleich erkennbar, daß sie es bei dem "Leitfaden für Führungskräfte" mit einer von einer indischen Sondergemeinschaft abgeleiteten Ideologie zu tun hatten. Die Werbung von Anhängerinnen und Anhängern begann mit dem Angebot, das Bewußtsein zu trainieren. Der Einzelne, aber auch die Firma, sollte damit zum Erfolg geführt werden. Bezeichnenderweise ist das erste Kapitel im wohl grundlegenden Buch des Psychologischen Trainingszentrums überschrieben mit dem Titel: "Hohe Belastungen verlangen große innere Kraft - Bewußtseinstraining - Hilfe zur Selbsthilfe für Manager".
Frau Fittkau-Garthe hatte Personalschulungen in großen deutschen Unternehmungen durchgeführt, und sie konnte auch auf Fachtagungen zu Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie, so z.B. in Bad Lauterberg ihr zur persönlicher Abhängigkeit führendes Gedankengut verbreiten. Der Titel ihres damaligen Vortrags hieß bezeichnenderweise: "Das Modell der Zukunft; Führung durch Freisetzung höchster geistiger Führungsenergie". Es sei daran erinnert, daß es Anfang 1998 zur Erwartung des Weltunterganges im Anhängerkreis von Frau Fittkau-Garthe kam, was zu zahlreichen schweren Konflikten führte.
Gerade dieses Beispiel belegt durch seine Aktualität im besonderen Maße, wie sich aus einer religiösen Sonderposition eine Ideologie und Lehre entwickelt und zu einer Eigengefährdung der Gruppenmitglieder führt. Die Verbreitung dieser Ideologie durch Seminare und Schulungen in der Wirtschaft zeigt, wie leicht derartiges Gedankengut Eingang in Führungsetagen findet.
5.3.3 Strukturvertriebs- und Multi-Level-Marketing-Systeme
Problematische Gruppen können also hinsichtlich des Aufbaus, der Art der Mitgliederwerbung sowie der auf die Ziele der Gruppe ausgerichteten Schulungsangebote im ersten Anschein für ein Unternehmen gehalten werden, das nach der aus den USA stammenden Verkaufsmethode arbeitet. Daher können die Übergänge von Strukturvertriebs- bzw. Multi-Level-Marketing-Systemen zu problematischen Gruppen der Psychoszene fließend sein.
Kann man bei den klassischen Franchise-Unternehmen in den meisten Fällen noch von einem durchschaubaren Betriebssystem sprechen, wird im boomenden Markt der Strukturvertriebs- bzw. Multi-Level-Marketing-Systeme die Situation unübersichtlich.
In der Regel wird ein seriöses Franchise-Unternehmen seine Mitarbeiter mit Lizenzverträgen an Produkt und Unternehmen in der Form binden, daß hier klare rechtliche und damit justitiable Verbindungen entstehen. Im Regelfall ist hier das Interesse der Mutterfirma, das Verkaufsnetz über eigene Geschäfte, eine zentral gesteuerte Werbung für die Produkte, einheitliche Ausstattung der Geschäftsläden und den Verkauf des Warensortiments mit geringem Stammpersonalaufwand zu gestalten. Diese Form des Geschäftsverhaltens ist in der Bundesrepublik Deutschland seit langer Zeit etabliert. Selbstverständlich kann auch bei dieser Form nicht ausgeschlossen werden, daß die Lizenznehmer solcher Unternehmungen über vertragliche Bestimmungen so fest an das Stammunternehmen gebunden werden, daß ihnen andere berufliche Alternativen für lange Zeit verwehrt bleiben. Bei fachkundiger juristischer Beratung sollte allerdings der Schaden für den Einzelnen eher gering ausfallen.
Die klassischen Strukturvertriebe zeichnen sich dadurch aus, daß sie pyramidenartig angelegt sind. Die zu werbenden Mitarbeiter müssen in der Regel durch den Kauf von Produkten des jeweiligen Unternehmens finanziell in Vorleistung treten. Häufig binden sie sich über Verträge langfristig an die Firma und verpflichten sich, unabhängig vom Absatz der schon erworbenen Produkte, immer weitere Artikel zu erwerben. Speziell für den Verkauf dieser Produkte finden häufig Schulungen statt, bei denen nicht nur Verkaufsstrategien, sondern auch die Firmenideologie vermittelt wird. Solche Unternehmungen werden in den Medien hin und wieder "Sekten" und Psychogruppen zugeordnet, da diese Firmen die geworbenen Mitarbeiter als gesamte Person vereinnahmen und die Firmenideologie zur Lebensphilosophie des Einzelnen werden kann.
Multi-Level-Marketingsysteme und auch die Schneeballgewinnspiele sind dem Gesamtbereich Strukturvertriebe zuzuordnen. Multi-Level-Marketing stellt eine Sonderform von Direktvertrieb dar, d.h. des direkten Absatzes vom Hersteller an gewerbliche oder private Konsumenten ohne Einschaltung von Handelsbetrieben. Es gibt die unterschiedlichsten Formen derartiger Strukturvertriebe. Eine Form des Multi-Level-Marketings verbindet das Warengeschäft mit der Gewinnung von weiteren Verkaufsmitarbeitern durch einen bereits im System arbeitenden Verkäufer. Dadurch entstehen hierarchisch gestufte Verkäuferketten mit einem hierarchisch gegliederten Provisionssystem, bei dem alle Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen auf allen Hierarchieebenen finanziell aus vermittelten Geschäften der niedrigeren Hierarchiestufe beteiligt sind. Dieses System der Entlohnung nach Umsatz mit der Aussicht auf Aufstieg in eine höhere Hierarchieebene, der die Beteiligung an weiteren anteiligen Provisionen aus den unteren Stufen mit sich bringt, schafft für alle Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen einen starken psychologischen Anreiz zur Akquisition.
Ein ähnlich starker Anreiz, neue Kunden zu werben, besteht in den als Pyramiden- oder Kettenspiel bezeichneten Gewinnerwartungssystemen, die einen Sonderfall der Strukturvertriebe darstellen. Sie unterscheiden sich von Strukturvertrieben darin, daß nur noch bloße Gewinnerwartungen aber keine konkreten Waren und Leistungen mehr verkauft werden. Im übrigen sind beide Formen strukturell und funktional ähnlich. Die Belohnung der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen (Mitspieler/Mitspielerinnen) für die Gewinnung eines neuen Mitarbeiters/einer neuen Mitarbeiterin erzeugt für das System eine auf Expansion gerichtete Dynamik im Sinne eines sich selbstorganisierenden Systems.
5.3.4 Der Strukturvertrieb als sogenannter kommerzieller Kult
Um die Dynamik des Systems weiter zu erhöhen, werden Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen bei Schulungen mental systematisch daraufhin trainiert, ihre Motivation für den Produktverkauf und die Mitarbeiteranwerbung noch weiter zu steigern. Diese Beeinflussung reicht bisweilen bis in das Wohnzimmer, wenn ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin beispielsweise verpflichtet ist, auch in der Freizeit über Kassette die Betriebsziele zu verinnerlichen, d.h. sich emotional konditionieren zu lassen. Der Preis für derart exzessive Indoktrination und Konditionierung auf die Unternehmensziele kann der Verlust des Privatlebens sein. Der Betrieb kann schließlich zur Ersatzfamilie werden. Zu Recht wird daher in den USA diese Art der Steuerung und Kontrolle der Mitarbeiter durch verhaltenspsychologische Methoden als "commercial cult" (kommerzieller Kult) bezeichnet.
Bei Intensivierung des mentalen Trainings durch Aufnahme von Meditationsübungen nähert sich ein derartiges Unternehmen dem Typ der totalen Gruppe mit religionsähnlichen Zügen. Für die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen besteht dann das erhöhte Risiko der Ausbeutung bis zum psychophysischen Zusammenbruch. Eine Unterscheidung von den sogenannten Psychogruppen (Psychosekten, Psychokonzernen) ist in diesem Fall nicht mehr möglich.
Kultähnliche Strukturvertriebe, zu denen in gewisser Hinsicht auch die Scientology-Organisation gehört sind Erfindungen der instrumentalen Vernunft und nicht Ausdruck religiösen Glaubens. Instrumentale Vernunft bestimmt nach utilitaristischen Kriterien ihr Ziel, das sie durch den Gebrauch rational kalkulierter Mittel zu erreichen versucht. Bei der Gründung eines Strukturvertriebes ist das Ziel der Verkauf eines Produkts, das Mittel der Aufbau einer schlagkräftigen Organisation. Wird der Verkauf des Produktes und die Mitgliedschaft in einem Strukturvertrieb als "Heilsgut" hochstilisiert und werden die Mitarbeiter im Wege emotionaler Konditionierung auf dieses Ziel ausgerichtet, verwandelt sich der Strukturvertrieb in einen religionsähnlichen kommerziellen Kult. Besteht bereits für Mitarbeiter eines normalen Strukturvertriebes immer die Gefahr der Instrumentalisierung, ist diese Gefahr bei der Erhöhung eines Strukturvertriebes zu einem kommerziellen Kult besonders groß.
Die Mitarbeiter dieser Art von Unternehmen sind meistens vertraglich weder vor Verlusten geschützt, noch ist das Stammunternehmen in der Regel bereit, Verträge so abzusichern, daß sie den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland genügen. Die Scheinselbständigkeit kann für die Betroffenen bei Nachfrageengpässen oder auch bei Zusammenbruch des Strukturvertriebes zu erheblichen Problemen führen: Das Risiko, in der Regel auch das finanzielle, tragen die Angeworbenen und nicht das Unternehmen.
Hinzu kommt, daß der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin im Rahmen eines derartigen Systems zum Objekt technischer Verfügbarkeit und psychotechnischer Herstellbarkeit degradiert wird. Der sich in einem derartigen System selbstentwickelnde strukturelle Zwang erlaubt es den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen, die sich gegenseitig kontrollieren müssen, oft nicht, auszubrechen bzw. sich anders als vorgeschrieben zu verhalten. Der starke Druck im System kann auch dazu führen, daß Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, um die unrealistisch hochgeschraubten Betriebsziele zu erreichen, sittenwidrige und illegale Verkaufsmethoden, die in der Branche allgemein als "Hard-Sell" (aggressiver Verkauf) bezeichnet werden, anwenden.
Im Einzelfall fällt es allerdings schwer, zu beurteilen, ob die Führung eines Strukturvertriebes gegen die guten Sitten verstößt, zumal es sozialethisch schwer ist, Manipulation zu definieren. Ein Kriterium hierfür dürfte sein, ob durch die Beeinflussung der Beeinflußte in seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ohne sein Wissen eingeschränkt wird. Manipulation liegt in jedem Fall dann vor, wenn der Beeinflussende den eigenen Nutzen sucht und bewußt bereit ist, dem anderen auch zu schaden, oder wenn der eigene Nutzen nur durch Schaden des anderen erreicht werden kann.
5.3.5 Gewinnerwartungssysteme
Da die Komplexität der Gesamtproblematik in der Enquete-Kommission erkannt wurde und weil die Übergänge zwischen ideologischen Gemeinschaften sowie Psychogruppen und als sogenannte Strukturvertriebe auftretende Unternehmen nicht klar zu trennen sind, ließ sich die Enquete-Kommission von einem Vertreter der Staatsanwaltschaft München I über Strukturvertriebe, insbesondere über die Kundengewinnung in sogenannten Schneeball-Systemen informieren. Die hier angewendete Werbestrategie zeigt in idealtypischer Weise, wie in als unseriös einzustufenden Betrieben dieser Art Menschen häufig mittels List zum Kauf von Produkten angehalten und gleichzeitig als neue Werber (Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen) gewonnen werden sollen. Eine besondere Gefahr des Verstoßes gegen Strafgesetze und besonders gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sind die Ketten-Pyramidengewinn-Spielsysteme. Diese bieten keine Produkte mehr an, sondern erwarten geldliche Vorleistungen als Spieleinsatz von den Angeworbenen. Das Beispiel Kaizen ist hierfür symptomatisch.
Vorgehen von Gewinnerwartungssystemen
Die Verbreitung von Gewinnerwartungssystemen, deren Teil-nehmern/Teilnehmerinnen gegen den Einsatz eines Geldbetrages ein Vermögensvorteil unter der Bedingung der Zuführung weiterer Teilnehmer in Aussicht gestellt wird, sind in der letzten Zeit nicht nur in Deutschland zu einem gesellschaftlichen und rechtlichen Problem geworden. In Albanien führten derartige Gewinnerwartungsspiele bekanntlich mit zum Zusammenbruch des Staatssystems. In Deutschland dürften die Beteiligungszahlen an derartigen Spielsystemen jenseits einer Viertelmillion Teilnehmer/Teilnehmerinnen liegen. Bei der Veranstaltung derartiger Spiele handelt es sich, wie unlängst der BGH entschieden hat, um verbotene progressive Kundenwerbung nach § 6c UWG.
Abgesehen von der Gesetzeswidrigkeit allein der Beteiligung an derartigen Gewinnerwartungssystemen nach § 6c UWG ist die Einbindung eines neuen Kunden in die Struktur des Systems und seine Steuerung und Kontrolle durch das System mittels eines minutiös festgelegten Drehbuchs unter Ausnutzung individual- und sozialpsychologischer Steuerungs- und Kontrolltechniken in der Regel höchst manipulativ und verstößt auch deshalb gegen die guten Sitten. Diese Gewinnspiele weisen nach Schilderung des Vertreters der Staatsanwaltschaft München I in der Regel folgende typische Systemmerkmale auf:
Systemmerkmale
Ein Systeminitiator fordert anläßlich entsprechender Werbeveranstaltungen Dritte auf, einen Betrag (in der Regel DM 5.000,-) an das System zu bezahlen, um Mitglied des Systems zu werden. Als solches hat der Einsteiger die Möglichkeit, seinerseits wiederum weitere Personen zu den Werbeveranstaltungen einzuladen, damit diese ihrerseits zu den gleichen Konditionen in das System einsteigen. Für die Werbung dieser Neueinsteiger erhält das Mitglied Provisionen in Höhe von z.B. DM 1.000,- für die erste und zweite Werbung und DM 2.000,- ab der dritten Werbung. Dieser Kreislauf wiederholt sich fortwährend.
Der Systeminitiator erbringt eine Reihe von Dienstleistungen. Insbesondere erfolgt die Durchführung der Werbeveranstaltungen durch die Initiatoren des Systems, er übernimmt auch die EDV-gestützte Organisation und Abrechnung des Systems.
Die Werbeveranstaltungen finden in der Regel in Hotels mit bis zu mehreren hundert Teilnehmern statt.
Psychische Beeinflussungen (beispielhaft)
Anwerbephase
Die Neueinsteiger werden durch Schulungsveranstaltungen (sogenanntes "Geschäftstraining") und entsprechende Unterlagen des Systems intensiv dazu angehalten, möglichst viele weitere Personen in das System hereinzubringen und ihr gesamtes Umfeld auf geeignete Personen zu überprüfen. Interesse soll geweckt werden durch entsprechend geschäftsmäßiges Auftreten in einem sozialen Umfeld, das häufig nicht durch ein solches Auftreten geprägt ist. Nähere Angaben zu der ausgeübten Tätigkeit dürfen bei der Einladung zur Werbeveranstaltung nicht gemacht werden. Lediglich auf die angeblich exorbitanten Verdienstmöglichkeiten darf hingewiesen werden. Den Neueinsteigern werden schriftliche Argumentationsmuster an die Hand gegeben.
Werbeveranstaltungen
Die Werbeveranstaltungen sind minutiös geplant und folgen in ihrem Ablauf einem genauen Schema. Sie finden häufig Sonntag abends in Hotels statt. Geschäftskleidung ist vorgeschrieben. Durch oft überlaute Musik wird versucht, eine gelöste Stimmung herbeizuführen. Kurz nach Beginn der Veranstaltung wird vom Redner eine "Stillhaltevereinbarung" präsentiert, die von den Teilnehmern zu unterschreiben ist und in der diese sich zur Zahlung einer "Konventionalstrafe" von z.B. DM 10.000,- verpflichten für den Fall, daß sie über den Inhalt der Veranstaltung gegenüber Dritten etwas verlauten lassen.
Die Teilnehmer setzen sich nur rund zur Hälfte aus Neuinteressenten, zur anderen Hälfte aus den Einladenden und weiteren Personen aus dem System zusammen, die naturgemäß ein erhebliches Eigeninteresse daran haben, möglichst viele Neueinsteiger zu gewinnen.
Bisweilen achten die Veranstalter darauf, daß die Neueinsteiger einen Platz zwischen zwei bereits im System befindliche Mitglieder erhalten, um kritisches Hinterfragen des Systems zu unterbinden.
Ein oder mehrere Redner versuchen, Wünsche und Vorstellungen der Neuinteressenten von einem Leben mit "richtig viel Geld" zu wecken, und stellen das jeweilige System als Weg zu gleichsam unbegrenzten Geldmitteln ohne nennenswerten Aufwand dar.
Der Beginn und der weitere Verlauf der Werbeveranstaltung ist geprägt von heftigen Jubelstürmen, Aufspringen, Klatschen, Pfeifen, Besteigen der Stühle etc. seitens der bereits in das System eingestiegenen Anwesenden, die hierzu genau instruiert worden sind. Dies geschieht immer dann, wenn von den exorbitanten Gewinnaussichten die Rede ist, die der Einstieg in das System bietet. Gezielt wird es regelmäßig erfolgreich unternommen, um eine kritische Überlegungen ausschaltende euphorische Stimmung zu erzeugen.
Gegen Ende der mehrstündigen Veranstaltung steht lediglich ein relativ kurzer Zeitraum zur Entscheidung über den Eintritt zur Verfügung. Dabei wird zum Teil weiterer Druck dadurch aufgebaut, daß nach den Ausführungen des letzten Redners nur zu diesem Zeitpunkt und nicht mehr später die Möglichkeit zum Einstieg besteht.
Bei einem System wurde stets dann, wenn ein Vertrag unterzeichnet wurde, die auch in dieser Phase wieder laufende Musik leiser gedreht, und der Einladende riß den unterzeichneten Vertrag hoch mit den laut gerufenen Worten "Schon wieder ein neuer Millionär", worauf die übrigen Systembeteiligten mit lautem Jubel antworteten.
Anläßlich der letztgenannten Veranstaltung wurde die Unterzeichnung von ca. 30-40 Verträgen festgestellt, was einer Einnahme von DM 150.000,- bis DM 200.000,- für diesen Abend entspricht.
"Banktermine" und weitere Betreuung
Da die wenigsten der häufig aus einfachen sozialen Schichten stammenden Interessenten den Einstiegsbeitrag von DM 5.000,- mit sich führen, werden am auf die Werbeveranstaltung folgenden Montag sogenannte "Banktermine" durchgeführt. An diesen nehmen der Neueinsteiger und ein "Betreuer" aus dem System teil. Anläßlich dieser "Banktermine" wird der Geldbetrag vom Konto des Einsteigers abgehoben oder von diesem per Kredit aufgenommen und dem Betreuer übergeben, der das Geld an die Systeminitiatoren weiterleitet.
Bereits in der dem Neueintritt folgenden Woche finden erneut die oben genannten Schulungsveranstaltungen ("Geschäftstrainings") statt, in denen die Neueinsteiger im wesentlichen dahin gehend instruiert werden, wie sie ihrerseits Personen aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis für den Besuch der Werbeveranstaltungen gewinnen. Auch das Verhalten anläßlich der Veranstaltungen wird erörtert.
Die kultähnliche Inszenierung der Werbeveranstaltung und die überwachende Betreuung des Kunden bis zur Einzahlung der Beteiligung erinnert an die Steuerung und Kontrolle eines Mitglieds in totalen Gruppen, wie z. B in der Scientology Organisation und der Kaizen Academy.