4.2 Nichtstaatliche Beratungs- und Informationsarbeit
4.2.1 Informations- und Beratungsbedarf bei nichtstaatlichen Stellen
Neben den Ergebnissen der o.g. Anhörung liegen zahlreiche publizierte Fallberichte und einige Übersichtsartikel sowie die Tätigkeitsberichte mehrerer Beratungsstellen vor. Es handelt sich jedoch stets um Falldarstellungen aufgrund eigener Praxis, nicht um eine systematische Untersuchung des Problemfelds. Von daher läßt sich zwar die Qualität der Konfliktlagen in der Beratung anhand von Fallberichten einschätzen, kaum jedoch der quantitative Beratungsbedarf. Die Berichte der Beratungsstellen ergeben allerdings, daß die Nachfrage bei Bekanntwerden eines seriösen Angebots oft größer ist als die vorhandene Beratungskapazität. Daher sind z.Zt. zahlreiche private oder von Initiativen getragene Beratungsstellen in der Gründungs- und Konsolidierungsphase. Aus der Anhörung und den Tätigkeitsberichten von Beratungsstellen läßt sich weiter entnehmen, daß mindestens die Hälfte der Anfragen sich als Informationsabfrage und Aufklärungswunsch darstellen. Häufig wird dazu bei den Beratungsstellen Orientierungswissen abgefragt, das der Vorbereitung persönlicher Entscheidungen dient. Zum Beispiel wird eine Einschätzung von Gefahren verlangt oder die ethische Beurteilung einer gewissen Praxis erwartet. Auch kurze psychosoziale Beratungen, die nur einen Gesprächskontakt erfordern, sind häufig. In einem Teil der Fälle wird jedoch eine intensivere Beratung (2 und mehr Kontakte) gewünscht bzw. für erforderlich gehalten. In diesen Fällen ist anzunehmen, daß der Beratungswunsch von massiven, teilweise chronifizierten innerpsychischen und sozialen Konflikten verursacht wird.
Welche Gruppen im deutschen Sprachraum am häufigsten Informations- und Beratungsbedarf in ihrem Umfeld erzeugen, läßt sich wiederum nur anhand der Tätigkeitsberichte abschätzen. Eine über mehrere beratende Stellen verallgemeinernde Schätzung zeigt, daß an erster Stelle des Bedarfs sogenannte Psychokulte stehen, z.Zt. meist Scientology (bei einigen Stellen die meistgenannte Einzelgruppe). An zweiter Stelle stehen extreme christliche Gruppierungen verschiedener Art wie die Gemeinde Christi, radikale charismatische Gruppen sowie die sogenannten klassischen Sekten mit einem Schwerpunkt bei Jehovas Zeugen. Diese bilden bei anderen Stellen die meistgenannte Einzelgruppe. Politgruppen (VPM, LaRouche-Bewegung) sind regional sehr unterschiedlich präsent, während die Guru-Gruppen, esoterische Sondergemeinschaften, Satanisten usw. einen geringeren, aber beständigen Beratungsbedarf verursachen. Diese Reihenfolge war im Laufe der Jahre großen Schwankungen unterworfen: Schmidtchen (1987) stellte die größte Bedeutung für die damals expandierende Bhagwan-Bewegung fest, während diese Bewegung nach dem Tod des Gurus statistisch kaum mehr auftaucht.
Die Konfliktträchtigkeit der einzelnen Gruppen läßt sich jedoch nicht nur anhand des dokumentierten Beratungsbedarfs abschätzen. Im Fallbestand einer Beratungsstelle spiegeln sich fast ausschließlich private Probleme und Konflikte individueller Biographien wider. Politische und gesellschaftliche, z.B. wirtschaftliche, Konfliktpotentiale werden kaum erfaßt. Sicher erscheint derzeit nur, daß die sogenannten Psychogruppen im Vergleich zu allen anderen Gemeinschaftstypen persönlichen Beratungsbedarf in hohem Umfang hervorrufen, vermutlich wegen ihrer direkten Interventionen in die private Lebensgestaltung und wegen ihrer besonderen Attraktivität für psychosozial vorbelastete Personen. Zum Beispiel liegt Scientology in den Tätigkeitsberichten oft vor den Zeugen Jehovas, obwohl man bei den Zeugen von einer ca. fünf- bis fünfzehnfachen Anhängerschaft auszugehen hat.
Weiterhin zeigen die Tätigkeitsberichte und ein von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebenes Gutachten eine unscharfe Grenze des Bedarfs an Information und Beratung in Richtung Esoterik/Okkultismus/freie Spiritualität. D.h. auch für die Betroffenen weltanschaulich befremdliche Orientierungen, exotische Therapieangebote usw., die nicht von geschlossenen Gemeinschaften angeboten werden, führen zu Informations- und Beratungswünschen. Schließlich zeigt die Analyse der Tätigkeitsberichte, daß Informationswünsche und Hilfsverlangen im engeren Sinn fließend ineinander übergehen, ja häufig nicht zu trennen sind. Der Wunsch nach einer Erklärung für das, was einem selbst geschehen ist bzw. was Angehörigen geschieht, bildet für viele Betroffene den ersten Schritt bei der Aufarbeitung der Erfahrungen. Die erkenntnisleitenden Theorien und allgemein die Wahrnehmungsraster der Berater und Beraterinnen bilden deshalb neben der Sachkenntnis in bezug auf die betreffenden Gemeinschaften und Bewegungen einen wichtigen Bestandteil der Qualität des Helfens.
4.2.2 Bisherige Grundlagen der Konfliktwahrnehmung
Voraussetzung für die Wahrnehmung der Konfliktstrukturen und Konfliktverläufe sind (neben den im Beratungswesen allgemein üblichen soziologischen, psychologischen und psychotherapeutischen Konzepten) einmal Theorien zu den Gründen des Eintritts in radikale Gruppierungen (Konversionstheorien). Zum anderen werden sozialpsychologische bzw. soziologische Konzepte benutzt, die zu erfassen suchen, wodurch eine Gruppe zur Eskalation der inneren und äußeren Konfliktlagen beiträgt. Es hängt auch von solchen Theorien ab, wie man von Beraterseite die Lebenssituation, die innerpsychische Befindlichkeit usw. von Anhängerinnen und Anhängern betrachtet, wie man psychische Probleme im Zusammenhang mit der Dekonversion bei sogenannten Aussteigern erklärt und behandelt sehen möchte, wie man Konflikte im Umfeld (Familie, Beruf) einer Gruppe wahrnimmt und zu beeinflussen sucht. Fortschritte wurden hier durch das an anderer Stelle (Kapitel 3.6) ausführlich zu referierende Forschungsprojekt der Kommission erzielt, dessen Ergebnisse an dieser Stelle nur in Bezug auf die Wahrnehmung des Beratungsbedarfs zu nennen sind:
In vier Teilprojekten sollten Aussagen über die Beweggründe von sogenannten Aussteigern und Verweilern in den betreffenden Gruppen gewonnen werden. Die Motive der beiden Probandengruppen sollten kontrastiert werden; es sollte dabei deutlich werden, in welcher Weise das eigene Handeln der Individuen, ihre Bedürfnisse nach Sinn und Gestaltung, mit Gruppenangeboten und -strukturen zusammenwirken. Die Methoden entstammten dem Feld der qualitativen Sozialforschung, in einem Teilprojekt wurde ergänzend ein standardisierter Persönlichkeitstest benutzt. Die vier Teilprojekte erbrachten trotz der z.T. etwas abweichenden Methodik und der unterschiedlichen Forschungsfelder übereinstimmende Ergebnisse: Es stellte sich heraus, daß die Attraktivität neuer religiöser und weltanschaulicher Bewegungen sowie die Gründe einer Konversion und eines eventuellen Ausstiegs nicht verallgemeinerbar sind, sondern daß es mehrere verschiedene und unerwartete Ablaufformen für den sozialen Prozeß einer Konversion, einer Akkulturation und eines eventuellen Ausstiegs gibt. Weiterhin stellte sich heraus, daß die biographischen Folgen einer Konversion keineswegs entweder nur von der Befindlichkeit der Konvertiten im Sinn eines "Suchermodells abhängt, noch lediglich von den Gruppen im Sinn eines "Manipulationsmodells bestimmt werden. Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Komplexität und Vielfalt der biographischen Problemkonstellation und der Relevanz der Lebensthematik läßt sich für jene Fälle, in denen aufgrund krisenhafter und konflikthafter Zuspitzungen ein deutlicher Beratungsbedarf entsteht, folgern, daß die Beratung keineswegs auf die Gruppenzugehörigkeit oder den Ausstieg begrenzt werden darf. Die Problematik einer derartigen Beratung wird dann schlaglichtartig deutlich, wenn berücksichtigt wird, daß in einem Teil der interpretierten Fälle die lebensgeschichtliche Problematik mit dem Ausstieg aus der Gruppe nicht "erledigt" war, sondern in anderen sozialen Zusammenhängen relevant bleibt und weiter bearbeitet werden mußte. Vielmehr handelt es sich bei dem Prozeß der Konversion, Akkulturation und eventuellen Dekonversion um eine komplexe Interaktion. Insgesamt wurde deutlich, daß religiöse bzw. weltanschauliche Geltungsansprüche, intellektuelle Plausibilitäten der Gruppenlehre usw. für Ausstieg bzw. Verbleib nur eine geringe Rolle spielten. Die "Passung von Sozialstruktur und Orientierungsangebot der Gruppe mit der Persönlichkeit und Lebenssituation der Individuen entschied weitgehend über den Verlauf von Konversion und ggf. Dekonversion. Im Rahmen einer solchen Interaktion kann es offenbar zu Konflikten kommen, die bei den Betroffenen zur Suche nach Hilfe und Beratung führen. Dem ist auf Seiten der Anbieter psychosozialer Hilfe Rechnung zu tragen.
Ergänzend zu erwähnen wäre eine unpublizierte Forschungsarbeit über das Befinden von Aussteigern aus der Neuapostolischen Kirche und den Zeugen Jehovas, die an der Universität Hamburg durchgeführt wurde. Die retrospektiven Einschätzungen der Befragten bestätigen die entscheidende Rolle, die das soziale Beheimatungsangebot der beiden Gemeinschaften für die Konversion spielte, und die Bedeutung, die soziale Frustrationen und Zwänge für den Ausstieg haben. Dabei spielte die Diskrepanz zwischen gelehrter Sozialethik und tatsächlichen Verhältnissen eine entscheidende Rolle, ein Befund, der für die beiden genannten Gemeinschaften plausibel erscheint, aber wahrscheinlich nicht verallgemeinert werden kann. Außerdem deutete sich in den Ergebnissen eine Differenzierung zwischen den Ausstiegsprozessen von Frauen und Männern an, ein bisher nirgends vorgezeichneter Befund, dem künftig wissenschaftlich nachgegangen werden sollte.
4.2.3 Beratungsbedarf und auslösende Konflikte - Ergebnisse des Gutachtens des Informations- und Beratungsdienstes des Referats für Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Aachen
Für die Enquete-Kommission war es wichtig, die Informations- und Beratungssituation in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen zu klären. Dabei interessierte vor allem auch die konkrete Beratungs- und Informationsarbeit in einer nichtstaatlichen Stelle.
Hierzu wurde ein Gutachten "Beratungsbedarf und auslösende Konflikte im Fallbestand einer sogenannten Sektenberatung anhand von Fallkategorien und Verlaufsschemata" an den Informations- und Beratungsdienst des Referates für Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Aachen vergeben. Die Beratungsstelle ist ein Orientierungs- und Hilfsangebot für alle Menschen in Krisen- und Konfliktsituationen und steht sowohl Einzelpersonen und Gruppen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche, als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zum Beispiel pastoralem und pädagogischem Personal zur Verfügung.
Angeboten werden:
- Information über weltanschauliche Fragen,
- Einzel-, Paar- und Gruppenberatung,
- kollegiale Betreuung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Jugendämtern, im
psychosozialen Dienst, in der Jugendgerichtshilfe,
- sowie eine Vernetzung der am Prozeß beteiligten Begleiterinnen und Begleiter
eines konkreten Falles im Bereich neuerer religiöser und ideologischer
Gemeinschaften und Psychogruppen.
Das in Auftrag gegebene Gutachten versucht die Ursachen aufzuzeigen und zu analysieren, die für den individuellen Beratungsbedarf konstitutiv sind, ob sich Typen auslösender Konflikte unterscheiden lassen, welche Kompetenzen von den Ratsuchenden nachgefragt werden, ob und welche Kooperationen mit anderen Stellen stattfinden und welche Schlußfolgerungen man hieraus für die zukünftige Arbeit ziehen kann.
Das Gutachten stellt den Beratungsbedarf und die auslösenden Konflikte anhand von 50 dokumentierten Beratungsfällen (Einzelberatungen) aus den Jahren 1992 bis 1997 dar, die von den Beratern als typisch für schwere Konfliktlagen angesehen wurden und die hohen Zeit- und Arbeitsaufwand erforderten. Die Beratung dauerte mindestens 1 Monat, meist 4 bis 7 Monate, es gab immer mehr als drei Kontakte. Sie erfolgte nach den fachlichen Regeln, die auch ansonsten für die psychologische Beratung bei erheblichen inneren und äußeren Konflikten gelten. Mit dem Gutachten verfolgte die Kommission das Ziel, im Spektrum der unterschiedlichen Interaktionsverläufe, die im Milieu der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften sowie der Psychogruppen vorkommen, die besonders schweren und langdauernden, daher auch besonders behandlungsbedürftigen, Problemlagen sichtbar zu machen. Kriseninterventionen, kurze Beratungen sowie Informations- und Orientierungsgespräche wurden daher in dem Gutachten nicht berücksichtigt, ebensowenig Familien- und Partnerberatungen usw. Es muß jedoch bei der Auswertung der Ergebnisse im Gedächtnis behalten werden, daß solche Hilfs- und Beratungskontakte in der Praxis (neben den schweren Fällen) einen breiten Raum einnehmen. Das Gutachten weist einige Merkmale der dort dokumentierten Fälle als allgemeingültig bzw. sehr häufig aus:
- Auslösend für die Beratung waren meist persönliche Probleme und Beziehungsprobleme.
- Fast alle Ratsuchenden erhielten außer bei der Beratungsstelle weitere Hilfe, meist auf medizinischer und/oder psychotherapeutischer, aber auch pädagogischer, juristischer und sozialarbeiterischer Grundlage.
- Das Alter der Ratsuchenden sowie Beruf, Bildungsstand und andere demoskopische Daten waren weit gestreut
- Die Art der beteiligten Gruppe bzw. Bewegung stand aufgrund der zu geringen Fallzahlen in keinem erkennbaren Zusammenhang zum Konfliktverlauf.
- Die meisten Ratsuchenden waren in einem Ausmaß belastet, daß es bei ihnen zu psychischen bzw. somatischen Reaktionen mit Krankheitswert kam. Nur ungefähr die Hälfte hatte jedoch nach der Anamnese eine Vorgeschichte mit chronifizierten emotionalen Störungen bzw. psychotischen Symptomen oder Persönlichkeitsstörungen aufzuweisen.
Eine vorläufige Auswertung der 50 Falldokumentationen durch die Kommission bestätigte die plausible Annahme, daß ein derartiger Beratungsbedarf dann entsteht, wenn die betreffenden Gemeinschaften entweder in Lehre und Praxis ein besonders hohes Konfliktpotential aufweisen oder mit ihren Lehren und Praktiken auf besonders vulnerable Personen und Umstände treffen. Es ergaben sich folgende (derzeit nur vorläufig beschreibbare) typische Konflikte im Fallbestand:
Belastung des familiären und sozialen Umfelds durch eine Konversion (indirekte Betroffenheit)
Die für das Umfeld überraschende Konversion eines Erwachsenen bzw. Jugendlichen und dadurch ausgelöste Umorientierung führt zu einer Belastung von Mitgliedern der Kernfamilie sowie von Ehe- oder Lebenspartnern. Die Konversion läßt sich verstehen als ein für die Ratsuchenden subjektiv und/oder objektiv bedrohlicher Versuch der (nicht zur Beratung erscheinenden) direkt Betroffenen, innerpsychische und/oder soziale Konfliktlagen sowie Entwicklungsprobleme aufzuarbeiten. Ein schwerer Konflikt kann entstehen, weil die Bearbeitungsversuche an sich untauglich sind und die Gruppeneinflüsse das ursprüngliche Problem verschlimmern, z.B. bisherige menschliche Bezüge abwerten, Ausagieren innerer Konflikte fördern, Realitätsverlust verursachen usw. Der Beratungsbedarf kann auch daher rühren, daß sich die Ratsuchenden einer an und für sich sinnvollen Bearbeitung verweigern oder daß beide Seiten die Gruppe für ihren Beziehungskonflikt instrumentalisieren. Der Konflikt wirkt sich mit Hilfe der Beratung bei einem Teil der Fälle als eine Chance zur Neuordnung, Wiederherstellung oder Befriedung der familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen aus. In diesen Fällen ist sie mit einer Dekonversion auf Seiten der direkt Betroffenen verbunden. In anderen Fällen führt der Konflikt für die Ratsuchenden zur Trennung bzw. zum Verlust der belastenden Beziehung, zur Dekonversion der direkt Betroffenen kommt es dabei nicht.
Belastung der persönlichen Beziehungen durch eine Konversion
Eine für das Umfeld und in der eigenen Biographie überraschende Konversion und die dadurch ausgelöste Umorientierungen führen wie beim ersten Typus zu einer Belastung der bisherigen Beziehungen mit der Kernfamilie, mit Ehe- oder Lebenspartnern sowie eventuell im Beruf. Es ergeben sich Rollenkonflikte und Identitätsprobleme. Dadurch werden bald Zweifel an der eigenen Entscheidung sowie an Lehre und Praxis der Gruppe geweckt. Die Konversion läßt sich wiederum verstehen als ein für die soziale Umgebung und für die eigene Entwicklung nicht verträgliches Bemühen der Ratsuchenden, innerpsychische und/oder soziale Konfliktlagen, Folgen körperlicher Erkrankungen sowie Entwicklungsprobleme aufzuarbeiten. Zur Beratung kommt es, weil der Bearbeitungsversuch an sich untauglich ist und die Gruppeneinflüsse die Schwierigkeiten, insbesondere die Beziehungsprobleme, verschlimmern, weil die emotionalen und sozialen "Kosten durch den Widerstand von Bezugspersonen zu hoch werden oder weil beide Seiten die Gruppe für ihren Beziehungskonflikt instrumentalisieren. Im Lauf der Beratung kommt es zur Dekonversion.
Unerträgliche Beeinträchtigungen der individuellen Lebensfähigkeit und Lebensqualität in einer Gemeinschaft
Die Ratsuchenden erleben unerträgliche Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität und ihrer Fähigkeit zum Umgang mit Alltagsproblemen, trotz oder wegen ihrer Einbindung in eine Gruppe und der Inanspruchnahme von Lebenshilfe in dieser Gruppe. Ursachen sind u.a. die Überlastung durch die zeitliche, finanzielle oder emotionale Beanspruchung in der Gruppe, psychische Erkrankungen, daneben schwere finanzielle und berufliche Krisen. Oft besteht ein Kausalzusammenhang zwischen dem untauglichen Gruppenangebot zur Problembewältigung, dem belastenden Gruppenmilieu und der Verschlimmerung von Störungen. Manchmal wird eine Gruppe auch im Rahmen einer individuellen Psychodynamik für eigene Bedürfnisse instrumentalisiert. Oft, jedoch nicht immer, kommt es zur Dekonversion. Die Konfliktlagen können sich in der Beratung als unbeeinflußbar erweisen. In einigen Fällen fürchten die Ratsuchenden Aggressionen und Repressalien von Seiten ihrer Gemeinschaft, die manchmal gezielt Angst vor den Folgen eines Ausstiegs erzeugt, oder sie haben solche konkret erlebt. Einen Extremfall stellt der rituelle sexuelle Mißbrauch im Kultzusammenhang dar. In Einzelfällen reagieren die Ratsuchenden selbst aggressiv, im Extrem sogar kriminell auf die Maßnahmen der Gruppe.
Distanzierung von einer Gruppe und Ausstieg aufgrund von Entwicklungsprozessen
Die Ratsuchenden befinden sich in einem Prozeß der Distanzierung vom Milieu einer Gemeinschaft bzw. von einer Führungsgestalt, wobei der Ausstieg teilweise bereits vollzogen ist und teilweise noch ansteht. Sie beenden eine Entwicklungsphase, in der sie in der Gemeinschaft Bedürfnisse befriedigen konnten, die nunmehr erledigt oder überholt sind. Manchmal distanzieren sie sich von der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren und sozialisiert wurden. Wenn die Beteiligten die damit von ihnen geforderten Anpassungsleistungen nicht erbringen können oder wollen, kommt es zum Beratungsbedarf. Hin und wieder wird die Distanzierung nicht von der Persönlichkeitsentwicklung der Ratsuchenden, sondern von Entwicklungen seiner Gemeinschaft ausgelöst (z.B. Radikalisierung, Kursänderungen).
Im Zusammenhang mit den ersten beiden Konfliktformen (Beziehungskonflikte durch Konversion) waren nicht selten Nachsorgemaßnahmen bzw. weiterführende Hilfsmaßnahmen wie Eheberatung, Psychotherapie, klinische Behandlung usw. notwendig. Dies galt verstärkt für die dritte Konfliktform (unerträgliche Belastungen in der Gemeinschaft). Im Zusammenhang mit der vierten Konfliktform erwies sich therapeutische Nachsorge dagegen nur in Einzelfällen als erforderlich. Auch wenn keine intensive Nachsorge benötigt wurde, erwies sich jedoch die Beteiligung an Selbsthilfemaßnahmen für die Ratsuchenden meist als sinnvoll.
Weiterhin wird in dem Gutachten festgestellt, daß es (vermutlich angesichts der Schwere der Fälle) mit einer Ausnahme nicht möglich war, die betreffenden Gruppen im Sinn einer Mediation in den Beratungsprozess mit einzubeziehen. In vielen weniger schweren Konflikten, vor allem im Bereich öffentlicher Information und Aufklärung, erscheint jedoch eine Mediation möglich und öfters gewünscht zu sein.
4.2.4 Rahmenbedingungen von Beratungsarbeit
a) Gutachten "Zur Qualifizierung von Beratungsarbeit im Spannungsfeld sogenannter Sekten und Psychogruppen: Kriterien und Strategien"
Um zu klären, welches Qualifikationsprofil dem praktischen Beratungsbedarf am ehesten entspricht, welche Anforderungen im einzelnen an die Beratungsarbeit zu stellen sind und inwiefern eine Qualifikation von Beratungsstellen nötig und möglich ist, hat die Kommission das o.g. Gutachten in Auftrag gegeben.
Das Gutachten untersucht die Fragestellung anhand der Konzepte und Strukturen in der aktuellen Sektenberatung, unter Zuhilfenahme empirischer Daten aus der Statistik des Informations- und Dokumentationszentrums Sekten/Psychokulte (IDZ) sowie der Analyse einzelner Fallbeispiele und kommt zu folgenden Ergebnissen:
Es sei festzustellen, daß empirische Arbeiten zum Thema "Sektenberatung" fehlten. Es gebe hingegen eine Reihe von Ratgebern für Betroffene und Veröffentlichungen zu diesem Thema.
Die aktuelle Sektenberatung stütze sich auf drei Pfeiler: Eltern- und Betroffeneninitiativen, kirchliche Sektenbeauftragte und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, soziales Beratungswesen, Justiz sowie engagierten Privatleuten. Der Begriff sei allerdings nicht durch klare Konturen gekennzeichnet, da er mit stark divergierenden Bewertungen verbunden sei, je nach Standpunkt des Betrachters. Zudem gebe es unterschiedliche Auffassungen, worum es bei der Sektenberatung gehe oder gehen solle.
Die Bandbreite reiche einerseits von einer sehr engen Auslegung, die Sektenberatung als reine Ausstiegsberatung betrachte bis hin zu einem gemäßigteren Ansatz, der zwar in der Wahl seiner Methoden moderater sei, aber implizit auch das Ausstiegsziel verfolge. "Sekte" werde in diesem Zusammenhang weitgehend als negativ und schädlich für die individuelle Entwicklung oder die familiäre Konstellation der Betroffenen betrachtet. Es handele sich von der Ausrichtung her um eine reine "Anti-Sektenberatung".
Andererseits gebe es eine Reihe von Beratern, die einen ergebnisoffenen Beratungsansatz praktizierten. Das heiße, sie appellierten an die Eigenverantwortung der Betroffenen, bauten auf vorhandene Ressourcen und definierten mit dem Ratsuchenden ein gemeinsam realisierbares Beratungsziel. Am Ende des Prozesses könne eine Neubewertung der Sektenmitgliedschaft bzw. die Akzeptanz der Situation stehen.
Neben einer regen Vortragstätigkeit und Informationsveranstaltungen an Schulen, Volkshochschulen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung sei Medienberatung zwischenzeitlich ebenfalls ein Aufgabengebiet vieler Sektenberatungsstellen geworden.
Nach Ansicht des Gutachtens sei die aktuelle Situation in der Sektenberatung ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Hilfsangebot für Menschen, die durch den Einfluß "sogenannter Sekten und Psychogruppen" in eine schwierige Lebenssituation gekommen seien. Sektenberatung trage in vielen Fällen zur Konfliktregelung bei, könne aber auch - insbesondere im Verbund mit der veröffentlichten Meinung - zur Quelle von Konflikten werden. Der Begriff "Sektenberatung", wie er in der aktuellen Diskussion benutzt werde, beziehe sich auf sehr heterogene Aufgabenbereiche, so daß eine Verständigung über Ziele und die Abgrenzung einzelner Aufgabenbereiche sehr schwierig sei. Diese Situation führe immer wieder zu Mißverständnissen, aus denen neue Probleme entstünden.
Es sei daher notwendig, über das Aufgabenspektrum, die Zielsetzung und die Grenzen von Sektenberatung eine Verständigung herbeizuführen und dies durch eine verbindliche Definition festzulegen. Erst im folgenden Schritt könnten dann Qualifikationskriterien und -profile für Berater sowie Qualifikationsstrategien entwickelt werden.
Bei der Abgrenzung der Aufgabenbereiche ließen sich drei Schwerpunkte für den Beratungsbereich identifizieren:
- Information und Aufklärung,
- psychologische Beratung/Therapie und
- Mediation.
Diese drei Bereiche seien nicht unabhängig voneinander zu sehen, sondern seien miteinander verschränkt. Die Interdependenz verdeutliche folgendes Dreieck:
Information und Aufklärung sei die Basis der Beratung. Sie setze Fachkompetenz, eine gründliche und verantwortungsvolle Dokumentation und einen intensiven Informationsaustausch zwischen den verschiedenen am Beratungsprozeß beteiligten Stellen
- Selbsthilfegruppen
- Psychosoziale Beratungsstellen
- Wissenschaft
voraus. Konsens herrsche darüber, daß implizit unter dem Begriff "Sektenberatung" auch die psychologische Beratung von direkt oder indirekt Betroffenen verstanden werde sowie die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines solchen Angebotes. Ein dritter Aufgabenbereich ergebe sich dadurch, daß ein großer Teil der heute anfallenden Konflikte um "sogenannte Sekten und Psychogruppen" durch die bestehenden Formen der Beratung nicht gelöst werden könne. Für dieses Problemfeld böten sich Mediationstechniken an, d. h. mit dem Beistand eines neutralen und unparteiischen Vermittlers gegensätzliche Positionen auszutauschen, Konfliktpunkte offen zu legen, um im gemeinsamen Gespräch Alternativen und Optionen zu erarbeiten und zu einem einvernehmlichen und eigenverantwortlichen Ergebnis zu kommen. Mediation werde bereits in vielen anderen gesellschaftlichen Problemfeldern (Scheidung, Nachbarschaftskonflikte, Umweltkonflikte usw.) erfolgreich angewendet.
b) Zu den Qualitätsmerkmalen nichtstaatlicher Aufklärungs- und Beratungs-
arbeit
Die Grundlage der Informations-, Aufklärungs- und Beratungsarbeit bildet immer eigene Sachkenntnis sowie eine umfangreiche und aktuelle Dokumentation über die betreffenden Gruppen. Da einzelne Stellen dies selten für sich leisten können, und da die nötige Objektivität nur durch Vergleiche von Informationen aus verschiedenen Quellen zu erreichen ist, sollte die Stelle an ein (formelles und informelles) Netzwerk von Institutionen angeschlossen sein und den dortigen Datenfluß nutzen. Derzeit ist es hinderlich für die Arbeit, daß zentrale und schnell zugängliche wissenschaftliche Archive und Dokumentensammlungen nicht bestehen bzw. für viele Hilfseinrichtungen nicht zugänglich sind. Persönliche Erfahrungen und eventuelle Kontakte zu den Gruppen müssen allerdings für eine effektive Informations- und Beratungsarbeit ebenfalls vorhanden sein. Die Menschen, die Informationen und Rat suchen, erwarten von den Helfern, daß diese genug wissen, um sich in ihre Situation hineinversetzen und an ihrer Perspektive teilnehmen zu können. Auf dieser allgemeinen Grundlage lassen sich jedoch eine Reihe von speziellen Aufgaben beschreiben, die von den Informations-, Hilfs- und Beratungsstellen erfüllt werden sollen:
· Öffentliche und private Information und Aufklärung
· Öffentliche und private Mediation
· Kurzberatung - Anstöße zur Selbsthilfe
· Vermittlung von medizinischen, sozialen, juristischen, pädagogischen Hilfen usw.
· Kriseninterventionen
· Praktische, ethische und weltanschauliche Orientierung
· Psychologische Beratung
· Therapeutische Interventionen
Es ist offenkundig, daß nicht sämtliche Ziele von einer Stelle oder gar von einer Person gleichermaßen verfolgt werden können. Ein Grund liegt darin, daß dafür eine unrealistische Anhäufung von Kommunikationsstrukturen und Fachkompetenzen erforderlich wäre. Außerdem schließen sich die Anforderungen für die effektive Erfüllung der Aufgaben teilweise gegenseitig aus. Kriseninterventionen erfordern andere Strukturen und andere Fertigkeiten als eine herkömmliche psychologische Beratung. Öffentliche Aufklärung kann ebenfalls mit therapeutischen Zielen in Konflikt geraten. Effektive Hilfe zur Selbsthilfe kann durch zu weitgehende Professionalisierung sogar behindert werden usw. Weiterhin erfordert die Abfrage von Orientierungswissen beim Ratsuchenden Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Berater und Beraterinnen, d.h. in der Regel eine Nähe zu deren eigenen weltanschaulichen Positionen. Aus diesen Gründen erweist sich ein Netzwerk von Organisationen und Hilfseinrichtungen auf unterschiedlicher institutioneller und fachlicher Basis als erforderlich, von dem aus wiederum auf bereits bestehende Einrichtungen (psychotherapeutische Angebote, Rehabilitationsangebote, psychologische Beratungsstellen, Jugendämter, Sozialämter, Rechtsberatung, Schuldnerberatung usw.) zugegriffen werden kann. Es geht dabei nicht um die völlige Angleichung der Kompetenzen, Positionen und Ziele, sondern um eine Kooperation im Dienst der hilfesuchenden Menschen. Zu diesem Zweck sollten vermehrt sachdienliche Kontakte aufgebaut und gepflegt werden.
Zu den Aufgaben im einzelnen:
Die Fähigkeit und Kompetenz zur Mediation zwischen den Gruppen und den Betroffenen bzw. über Medienkontakte zwischen den Gruppen und der Öffentlichkeit sollten bei professionell arbeitenden Stellen vorhanden sein, können aber von Selbsthilfegruppen nicht verlangt werden (s.u.). Insgesamt liegen mit Mediationsaufgaben allerdings kaum praktische Erfahrungen vor, diesem Gebiet sollte künftig größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Da selbst bei kurzen Kontakten mit individuellen Ratsuchenden häufig über die Weitergabe von Fakten hinaus auch praktische und persönliche Ratschläge aller Art erwartet werden, muß von den Stellen psychosoziale Hilfe und psychologische Beratung entweder selbst geleistet oder vermittelt werden können. Wenn psychotherapeutische Maßnahmen nötig werden, muß auch dieser Bedarf erkannt und entsprechende Hilfe angeboten werden. Einige Beratungsstellen werden von weltanschaulich eindeutig zu verortenden Institutionen getragen, vor allem den großen Kirchen. Andere gewinnen ein öffentliches weltanschauliches Profil durch ihre Medienpräsenz (Betroffeneninitiativen u.a.). Von solchen Stellen wird häufig neben konkreten Hilfen und psychologischer Beratung auch Orientierungswissen, Hilfe zu eigenen Entscheidungen, weltanschauliche Orientierung (im Fall kirchlicher Stellen Seelsorge) erwartet. Der häufigste Fall dieser Art scheint zu sein, daß sich Mitglieder bzw. ihre Angehörigen aus radikalen christlichen Gruppen an Beratungsstellen der großen Kirchen wenden. Die Vermittlung von Orientierungswissen widerspricht der Objektivität der Informationen und der Qualität der Beratung nicht, sofern die Trägerschaft und die weltanschauliche Positionierung der beratenden Stelle für die Ratsuchenden klar erkennbar ist, sofern sie bewußt gewählt wird, und sofern auch die Position der Beratenden ggf. Thema im Beratungsprozess werden kann.
Eine psychologische Beratung im engeren Sinn läßt sich von der weltanschaulichen Orientierung und der psychosozialen Hilfe auf der einen und der Psychotherapie auf der anderen Seite zwar nicht eindeutig abgrenzen, sollte aber ihren eigenständigen Charakter behalten und nur dann von der Stelle selbst angeboten werden, wenn zusätzlich zur Sachkenntnis die dafür nötige beraterische Kompetenz vorliegt. Diese besteht (neben dem unbedingt erforderlichen Sachwissen über die betreffende Gruppe oder Bewegung) im Fall einer professionellen Beratung im wesentlichen aus denjenigen Fähigkeiten und fachlichen Qualifikationen, die auch sonst für eine psychologische Beratung erforderlich sind. Bei den Konflikten, an denen neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen beteiligt sind, handelt es sich nach herrschender Auffassung nicht um ein derart spezielles Feld, daß dafür eine besondere psychologische oder therapeutische Ausbildung erforderlich wäre. Allerdings sollten die gängigen Konversionstheorien (s. Kapitel 3.6.) sowie die einschlägigen religionspsychologischen und religionssoziologischen Erkenntnisse, die nicht zur üblichen Ausbildung psychologischer Berater gehören, durch Fortbildungsmaßnahmen mit herangezogen werden.
4.2.5 Laienhilfe
Beratende Kompetenz kann unter bestimmten Bedingungen auch Laienkompetenz sein. Wegen der großen Bedeutung von Betroffeneninitiativen und Selbsthilfegruppen in diesem Arbeitsfeld soll auf den Punkt näher eingegangen werden: Selbsthilfegruppen wurden im Gefolge der 68er-Bewegung allgemein zu einem bedeutenden Faktor in den Arbeitsfeldern Soziales und Gesundheit. Die ältesten heute noch aktiven Betroffeneninitiativen entstanden zu dieser Zeit. Der Begriff "Laie bezeichnet im Kontext einer Selbsthilfegruppe zuerst einmal den Sachverhalt, daß es sich nicht um professionelle Helfer mit fachlicher Ausbildung und Titel handelt, sowie um ehrenamtliche Hilfe im Unterschied zur Berufsausübung. Innerhalb des Spektrums von Laienhelfern gibt es erhebliche Unterschiede je nachdem, welchen Kenntnis- und Kompetenzstand sich die Einzelnen erworben haben. Von der problembezogenen Kompetenz her lassen sich Übergänge nach allen Richtungen finden, von der "reinen Selbsthilfe in einer Gruppe von Menschen ohne Fachbildung bis hin zu einem ehrenamtlichen Helfer, dessen anwendungsbezogenes Fachwissen das eines professionellen Beraters weit übersteigen mag. Die Begriffe "Laien und "Fachleute lassen sich deshalb nur bedingt durch eine verschiedene Kompetenz für Information und Hilfe definieren. Es gibt allerdings andere Unterschiede: Laienhelfer sind typischerweise nicht an einer allgemeinen Kompetenz orientiert, wie sie ein Ausbildungs-Curriculum repräsentiert, sondern an spezifischer Problemlösungskompetenz in Richtung ihres Engagements. Sie stehen daher weniger für eine Branche des Helfens als für ein konkretes Ziel des Helfens. Weiterhin nehmen Laienhelfer andere Rollen ein als professionelle Helfer und bauen andere Kommunikationsstrukturen auf. Zum Beispiel überlassen Laienhelfer den Hilfesuchenden tendenziell mehr Mitverantwortung für das Geschehen als professionelle Helfer. Dies wird dadurch gefördert, daß Laienhelfer den Hilfesuchenden ähnlicher sind, als es Professionelle sein können. Häufig gilt für Laien das Prinzip, daß sie als Betroffene anderen Betroffenen mit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen helfen. Auch wo dies nicht der Fall ist, entsprechen die Problemwahrnehmungen der Laienhelfer, was Komplexität und angenommene Kausalzusammenhänge angeht, eher denen der Hilfesuchenden. Insofern kann von Laienhelfern zwar Objektivität, aber nicht Neutralität und Abstinenz verlangt werden. Im Gegenteil kann eine Vermischung persönlicher Kontakte mit den Hilfeleistungen unter Umständen günstig sein.
Eine Zusammenfassung der in der Literatur benutzten "Laienmerkmale sieht folgendermaßen aus:
· ehren- und nebenamtliche Tätigkeit
· speziell problemorientierte (anstatt generell fachorientierte) Kompetenz
· Ausrichtung auf einen begrenzten Kreis von Hilfesuchenden
· Ausrichtung auf ein begrenztes Ziel des Helfens
· weniger Verantwortung für den Einwirkungsprozess wird übernommen bzw. den Hilfesuchenden abgenommen
· Tendenz zur symmetrischen Rollenverteilung in der Helferbeziehung
· alltagsnahe Begrifflichkeit, alltagsnahe Kommunikationsformen
· Nähe zu den hilfesuchenden Personen bzw. zu ihrer Situation (keine prinzipielle Abstinenz)
· Nähe zu den Wahrnehmungs- und Erklärungsmustern der Hilfesuchenden
Ein solcher Laienstatus hat offenkundig sowohl Vor-, als auch Nachteile bei der Lösung der oben aufgelisteten Aufgaben. Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen bei Betroffeneninitiativen usw. sind vor allem dazu imstande, schnell eine Vertrauensbasis zu Hilfesuchenden zu schaffen, auf dieser Basis zu informieren und aufzuklären, Orientierungshilfen anzubieten, kurze und praktisch orientierte Beratungen durchzuführen, Hilfen anderer Stellen schnell und unbürokratisch zu vermitteln, Kriseninterventionen anzuregen oder u.U. durchzuführen und längerfristig Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Insbesondere die stützende Einbindung Betroffener in länger andauernde Beziehungen zu anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen kann außer von Selbsthilfegruppen kaum geleistet werden. Eine ausführliche Beratung mit starken therapeutischen Elementen oder gar eine psychotherapeutische Intervention (siehe die unter 4.2.3 analysierten Fälle) überfordern dagegen die meisten Selbsthilfeeinrichtungen bzw. machen eine Kooperation mit fachlichen Stellen erforderlich.
4.2.6 Schlußfolgerungen
Die Informations- und Beratungsangebote im Bereich der neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen stehen in einem Zwischenbereich von sozialer Problematik und weltanschaulicher Auseinandersetzung. Vielleicht ist auch deshalb bislang die professionelle und wissenschaftliche Rahmung des Themas unzureichend. Die beiden Gutachten haben dies deutlich gemacht. Sie haben aber auch angezeigt, daß die Beratungsarbeit durchaus in einem weiteren Kontext gesehen wird. Die Ergebnisse des Gutachtens "Beratungsbedarf und auslösende Konflikte" unterstreichen, daß hier die Professionalisierung der Arbeit sozusagen "von unten" aus der Selbsthilfe heraus in Angriff genommen worden ist.
Allerdings kann es kein Ziel sein, die Informations- und Beratungsarbeit völlig zu professionalisieren. Dann würde Selbsthilfe ihre Stärken verlieren. Auch sollte Informations- und Beratungsarbeit nicht völlig Betroffenen überlassen werden. Vielmehr sind professioneller Bereich und Selbsthilfe innerhalb einer umfassenden Konzeption und in bezug auf ihre jeweiligen Stärken förderungswürdig. In der Praxis muß allerdings ein deutlich markierter Übergang zwischen den verschiedenen Rollen des Laienhelfers und des Professionellen verlangt werden. Auch die Ziele und Grenzen des jeweiligen Beratungshandelns müssen abgestimmt sein. Der Grund liegt in der Beziehungsklarheit, die Helfer und Hilfesuchende sowie das Umfeld gleichermaßen benötigen, um gemeinsam Problemlösungen erarbeiten zu können.
Wie die jeweils nötige Kombination von Kompetenzen und Aufgabenverteilungen zwischen professionellen Helfern und Laienhelfern im Einzelfall erreicht werden kann, muß noch erarbeitet werden. Die oben genannte Studie "Selbsthilfeförderung durch Selbsthilfekontaktstellen" führt z. B. die "Sektenberatung" überhaupt nicht auf. Es bestehen aber sowohl in der Psychologie wie in der Soziologie Ansätze der Übertragung auf das Problemfeld. Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, daß das Informations- und Beratungsangebot nur durch eine Zusammenarbeit von Juristen, Medizinern, Psychotherapeuten, Seelsorgern, Religionswissenschaftlern, Schuldnerberatern und anderen betroffenen Fachgebieten gewährleistet werden kann.
Eine professionelle und wissenschaftliche Rahmung der Informations- und Beratungsarbeit kann aber nicht darin bestehen, einen Typus der idealen Selbsthilfegruppe zu formulieren. Dies würde die Stärken der Selbsthilfe negieren. Vielmehr ist festzuhalten, daß in einem Netzwerk von Hilfseinrichtungen Anlaufstellen unterschiedlicher Kompetenz und Schwerpunktsetzung nicht nur denkbar, sondern auch wünschenswert sind.