3.4 Okkultismus/Satanismus

Heute vergeht kaum ein Tag in der Woche, an dem nicht über Okkultismus oder Satanismus in Fernseh- oder Rundfunkprogrammen, in irgendeiner Zeitung oder Illustrierten medienwirksam berichtet wird. Insbesondere Jugendlichen wird ein epidemisch gestiegenes Interesse an okkulten Praktiken unterstellt. Das Interesse und die Handhabung okkulter Praktiken bleibt jedoch keineswegs auf Jugendliche beschränkt.

Eine besondere Auseinandersetzung in diesem Phänomenbereich ruft der Satanismus hervor. Die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen zeigen jedoch, daß hier mediale Berichterstattung und Realität besonders weit auseinander klaffen.

Die Gefahr, daß in der Medienberichterstattung nicht nur "Trends" aufgenommen und verarbeitet, sondern daß "Trends" produziert werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber nicht nur die Medien können eine "Trendsetterfunktion" ausüben. Auch Experten und Wissenschaftler werden in diesem Zusammenhang ihren Dienst und ihre Arbeitsweise einer sorgsamen (Selbst-)Reflexion und Supervision unterziehen müssen.

3.4.1 Zur Verbreitung okkultistischer und satanistischer Phänomene

Über die Verbreitung okkulter Praktiken und Vorstellungen - insbesondere bei Jugendlichen - liegen in der Zwischenzeit eine Reihe von empirischen Untersuchungen vor. Für Erwachsene hingegen gibt es nur wenige Untersuchungen.

Die Vorstellungen und Praktiken des modernen Okkultismus sind weiter verbreitet als die organisierten religiösen Praktiken. Nach verschiedenen Untersuchungen gehören okkulte Vorstellungen und Praktiken zwischen Spaß und Ernst zum Alltag etwa eines Viertels der Jugendlichen. Erwachsene des Zweiten Bildungsweges und anderer Ausbildungsinstitutionen sind noch häufiger beteiligt.

An okkulte Phänomene, also an die Wirkung verborgener, der sinnlichen Wahrnehmung entzogenen Kräfte und Mächte, an die Kraft von Glücksbringern, Wahrsagern, Wunderheilern, Astrologie etc., glauben nach diversen Studien zwischen 20 bis 30 Prozent - mitunter auch mehr - der Bevölkerung. Diese Zahlen sagen jedoch nichts darüber aus, ob diese Menschen ihre alltäglichen Entscheidungen tatsächlich von Horoskopen, dem Pendel oder den Tarot-Karten o. a. abhängig machen.

Auch bei Jugendlichen - je nach Studie differierend - beteiligen sich oder haben sich 20 bis 30 Prozent an okkulten Praktiken beteiligt, wie etwa Pendeln, legen der Tarot-Karten, Gläserrücken etc. Die Beteiligung ist umso höher, je leichter zugänglich die Praktiken (Pendeln, Tarot-Karten) sind. Ob einmalige oder auch mehrmalige Teilnahme an diesen Praktiken ausreicht, um von einem okkulten Engagement, einem okkulten Weltbild oder einer Alltagsrelevanz des Okkulten zu sprechen, ist fraglich. 1996 gab 1 Prozent aller Jugendlichen an, zu okkulten Gruppen zu gehören. Okkulte Gruppen werden nach Hooligans, rechtsradikalen Gruppen und Skinheads mit ca. 68 Prozent bzw. 51 Prozent deutlich abgelehnt. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß Okkultisten in der Regel Individualisten sind und sich nicht Gruppen anschließen.

Im Spektrum "okkulter" Praktiken sind satanistisch-rituell inspirierte Formen in der Minderheit. Aus verschiedenen Studien - mit Ausnahme ostdeutscher Schülerinnen und Schüler, wo die Werte nur etwa halb so hoch sind - ergeben sich wenige Prozent aktiver und passiver Beteiligung an "Schwarzen Messen". Dabei muß allerdings offen bleiben, was die Jugendlichen jeweils unter "Schwarzen Messen" verstanden haben. Es wird sich nur zum Teil um satanistische Rituale handeln.

Insgesamt relativieren sich die medialen Schreckensszenarien durch die Zahlen deutlich. Insbesondere die in der medialen Berichterstattung stark im Vordergrund stehenden satanistischen Praktiken erweisen sich als vergleichsweise seltene Randerscheinungen.

3.4.2 Moderner Okkultismus

Der Okkultismus ist eine relativ junge Weltanschauung, die im Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen, Religion und Wissenschaft steht. Da der moderne Okkultismus von Anfang an mit dem Geruch von Täuschungen, Verführungen und Betrug behaftet war, vermeiden manche Wissenschaftler diesen Begriff und sprechen im Anschluß an M. Dessoir von Parapsychologie, später von Außersinnlicher Wahrnehmung (ASW), PSI-Fähigkeiten (Psychokinese) usw. Ob den unter dem Begriff zusammengefaßten Erscheinungen des Natur- und Seelenlebens außerhalb der Vorstellungen der Okkultgläubigen und der sie untersuchenden Wissenschaftler eine Existenz zukommt, wird wissenschaftlich trotz gegenteiliger Auffassungen in der Parapsychologie bestritten. Da diese Erscheinungen definitionsgemäß mit den anerkannten Methoden der Wissenschaft nicht untersucht werden können, sind sie für eine wissenschaftliche Untersuchung unzugänglich. Okkult sind diese Erscheinungen jedoch nicht an und für sich; sie werden es erst in einer okkulten Deutung.

Die Frage, ob den sogenannten okkulten Phänomenen keine von ihren Anhängern unabhängige, äußere Existenz zukommt, verweist zugleich darauf, warum viele Menschen einem solchen Glaubenssystem anhängen. Okkultismus hat für diese eine psychische oder Glaubensrealität und im Falle von esoterischen Weltanschauungsgemeinschaften für die in ihnen zusammenkommenden Gruppen eventuell auch eine soziale Realität, die wie andere Glaubenssysteme zur Bedingung des Handelns und zum Rahmen der Vorstellungen, Orientierungen und Selbstverständigung wird. In den Praktiken und Vorstellungen des modernen Okkultismus erhalten Wünsche, Ängste, Phantasien einen Ausdruck, die in unserer industriell-bürokratischen Lebenswelt sonst keinen Ort zu haben scheinen. Manche Okkultisten und Parapsychologen meinen sogar, mit Hilfe okkulter und parapsychologischer Experimente die Frage der Unsterblichkeit des Menschen entscheiden zu können.

Die aktuelle Verbreitung des Okkultismus wird zu einem großen Teil darauf zurückzuführen sein, daß die Menschen mit ihren Ängsten, Wünschen und Fragen in den modernen Wissenschaften weithin nicht vorzukommen scheinen bzw. sie sich darin nicht wiedererkennen können; sie suchen nun in okkulten oder esoterischen Vorstellungen und Praktiken eine Beruhigung und Befriedigung, die ihnen die soziale Wirklichkeit, aber auch die religiösen Lehren und schließlich die Kunst und Wissenschaften nicht geben.

Anhänger des Okkultismus wie der Esoterik bilden in der Regel keine festen sozialen Organisationen; Okkultisten sind Individualisten, deren soziale Beziehungen untereinander meist den Organisationsformen einer Publikums- oder Klientenreligion entsprechen. Eine deutliche Ausnahme davon stellen allerdings satanistische Vereinigungen dar.

3.4.3 Moderner Satanismus

Das allgemeine Erscheinungsbild und die Rituale satanistischer Gruppen entstammen nicht einer Wurzel, sondern einer Bricolage, die ihren Ausgang nimmt bei den Untersuchungen von Texten Schwarzer Messen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die dann übergeht zu Gruppen aus dem Bereich der Freimaurer, zuweilen befaßt mit antiklerikalen Parodien und schließlich bei Crowley landet.

Für den rituellen Satanismus der Moderne ist die Person Aleister Crowleys (12.10.1875 - 01.12.1947) von entscheidender Bedeutung. Crowley wird als "spiritus rector" und Ideenlieferant für eine Vielzahl von Gruppen und Organisationen und ihre Rituale gesehen.

Wesentlich für den Satanismus ist, daß im Glaubenssystem sowie auch in der Ritualpraxis nicht die Person Satans, Baphomets, oder welche Namen immer vergeben werden, im Vordergrund steht. Im Mittelpunkt und als primäres Ziel steht der Mensch: sozusagen die "Selbstvergottung" des Menschen. Sinn und Zweck ist es, mit Hilfe des Ritualsystems - dessen wesentlicher Inhalt die Sexualmagie ist - die Erkenntnis der eigenen Göttlichkeit voranzutreiben.

Des weiteren bleibt festzuhalten, daß der Satanismus für Menschen die Möglichkeiten suggeriert und zum Teil auch verschafft, Minderwertigkeitskomplexe in Ichaufwertung umzuwandeln. So ist für manchen ichschwachen Menschen gerade ein Grund sich dem Satanismus zuzuwenden, das Gefühl zu bekommen, über Rituale und Formen Macht über andere Personen zu erlangen, eine latente Wut auszuleben oder scheinbar Naturgesetze zu seinen Gunsten verändern zu können.

Der "Satanismus" als Kultur der "Überschreitung" christlicher Glaubens- und Lebensformen und christlich-religiöse Orientierung schließen sich nicht unbedingt aus. Im Gegenteil: Okkulte Orientierungen scheinen durchaus mit kirchlichen Haltungen vereinbar. Denn eine entscheidende Quelle satanistischer Überzeugungen und Rituale ist die Negation der christlichen Ordnung, eine Negation, die den christlichen Code nicht verläßt, aber die Codierungsvorzeichen von "gut" und "böse" verkehrt und darin Konflikte, Verletzungen und lebensgeschichtliche Krisen im Sinne einer Identifikation mit dem negativ Kodierten der christlichen Ordnung auslebt. Dabei gibt es Hinweise, daß eine durch Enge, Rigidität, Leibfeindlichkeit und religiösen Zwang geprägte christliche Sozialisation - sowohl in christlichen Sondergemeinschaften als auch in rigoristischen oder traditionalistischen Milieus der großen Volkskirchen mit einer starren Aufteilung "guter" und "böser" Ordnungen und Mächte - einen Hintergrund für "satanistische" Rebellion und Absetzung als "Befreiung" von Zwängen bilden kann.

Wenn in dieser Linie satanistische Praktiken als Bestandteil einer Kultur der Überschreitung und des Tabubruchs erscheinen, dann läßt sich auch die Nähe zu "sexualmagischen Praktiken" und sexuellen Obsessionen verstehen. Daraus kann durchaus eine Affinität und Anziehungskraft satanistischen Gedankengutes für Personen resultieren, die für sexuelle Tabubrüche und sexuellen Mißbrauch anfällig sind. Hier liegen Hinweise vor, ohne daß es hier allerdings bisher gesicherte und fundierte Erkenntnisse gibt.

3.4.4 Typologien des Satanismus

In der Satanismusforschung ist eine Typologie entwickelt worden, die zur systematischen Kategorisierung brauchbar erscheint:

- ritueller ordensgründender Satanismus,

- rationalistischer Satanismus (Satan wird als Symbol oder Chiffre verstanden),

- okkultisch-traditioneller Satanismus (Satan stellt den Gegenspieler Gottes dar),

- Acid-Satanismus (sadistisch, orgiastisch und drogenkonsumierende Gruppen),

- Luziferismus (Satan und Luzifer sind Objekt der Verehrung).

Quer zu dieser religionswissenschaftlichen Typisierung bilden sich Gruppen und Kulte, die eine satanistische Ausrichtung aufweisen, deren Einteilungskriterien aber vom psychosozialen und sozialen Umfeld herzuleiten sind:

1) Der psychotische Satanismus. In diesem Genre sind eher Einzelgänger zu Hause. Rituale werden nur allein oder in kleinem Kreis praktiziert. Nicht auszuschließen ist, daß es in diesem Bereich zu "wahnhaft" motivierten Straftaten kommt (vgl. psychotische Episode, Kap. 3.5.3).

2) Ein vermarkteter Satanismus, d.h. eine Szene, die den Satanismus kommerziell zu nutzen weiß. Über Inserate oder noch mehr wohl über Mundpropaganda werden in einschlägigen Kreisen schwarze Messen zum Ausleben der perversesten Neigungen oder verknüpft mit sado/masochistischen Praktiken gegen zum Teil horrende Summen angeboten.

Die wohl nach außen bekannteste Ausprägung ist der jugendzentristische Satanismus. Im strengen Sinne handelt es sich hier nicht um echten Satanismus. Man kann darin viel eher einen jugendkulturellen Bereich sehen, der sich von der Erwachsenenwelt abgrenzen will. Hier sind vielfältige Formen und Spielarten zu unterscheiden, die zwischen der Entwendung "satanistischer Zitate" im Bereich jugendlichen Stilbastelns, der Faszination an den Symboliken des Bösen, bis hin zur Anlehnung an satanistische Ideen und die Praktizierung satanistischer Vorlagen reichen können. In diesem Zusammenhang spielen sexualisierte Gewaltphantasien und ihre Umsetzung durchaus eine Rolle. Ob allerdings diese letzte Variante im jugendkulturellen Bereich von größerer Relevanz ist, muß weiter geklärt werden.

3.4.5 Beispiele für problematische Praktiken und Rituale im Satanismus

Arkandisziplin (AD)

Jede Satansorganisation (Kult), Gruppe, Loge oder jeder Orden pflegt ihre, bzw. seine "Arkandisziplin". Initiierte (eingeweihte) Mitglieder dürfen oft bei martialischer Strafandrohung (z.B. Folter, Vergewaltigung, Tod usw.) keine Informationen über die Infrastruktur und den Organisationsgrad der Gruppe, Loge, des Ordens nach außen weitergeben. Auch dürfen sie nicht über Initiationsgrade, über den genauen Ablauf von Ritualen oder sonstigen Praktiken berichten. Das Initiationsritual bindet ferner die Mitglieder zeit ihres Lebens an die Organisation. Sie können nach dem Selbstverständnis der Gruppe, Loge oder des Ordens nicht mehr aussteigen. Es sei denn, die Organisation würde sich auflösen oder den "Eingeweihten" ereilt der Tod. Ausstiegswilligen wird die wilde Entschlossenheit der Organisation, sie nicht so ohne weiteres ziehen zu lassen, psychisch wie physisch vor Augen geführt. Zum Beispiel berichtete ein Aussteiger, daß der Anführer einer Gruppe mit Hilfe von Bodyguards und Androhung von körperlicher Gewalt ("...wenn man aussteigen will, dann für immer...!") versuchte, ihn vom Ausstieg abzubringen. Aussteiger sind einem permanenten, überwiegend psychischen Druck ausgesetzt. Sie bekommen Pakete mit halbverwesten schwarzen Katzen und Hähnen zugeschickt, oder man legt z.B. tote Ratten in Pentagrammform vor die Wohnungshaustür des Ex-Mitgliedes. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Kult zum vulgärsatanistischen "Traditionellen Satanismus" (bedeutet: es ist nur ein gering ausgeprägtes Ritualsystem vorhanden) oder zu einem mit akademisch gebildeten Intellektuellen besetzten "Rationalistischen Satanismus" zählt.

Daß solche "Druckmechanismen" greifen, hängt zum einen mit dem magischen Verständnis der Involvierten zusammen; zum anderen sind sich die meisten Mitglieder der Tatsache bewußt, daß es bei den praktizierten Ritualen oder sonstigen Praktiken der Gruppe häufig zu Straftatbeständen kommt, die, einmal bekanntgeworden, notwendigerweise eine Strafverfolgung durch Staatsanwaltschaft und Polizei nach sich ziehen. Ex-Satanisten führen in Gesprächen neben ideologischen auch ökonomische Gründe an, warum das Verletzen der AD und der damit oftmals verbundene Ausstieg der "AD-Verletzer" so unnachgiebig und unerbittlich durch die Organisation verfolgt wird. Jeder "Aussteiger" dokumentiert mit seiner Verhaltensweise, daß entgegen der Prämisse z.B. im "okkultistisch traditionellen Satanismus", Satan nicht über die "Allgewalt" auf Erden verfügt, er nicht der "Fürst (Herrscher) dieser Welt" ist und daß man dementsprechend unbeschadet die ideologische Rüstung wechseln kann. Die Akzeptanz eines solchen Schrittes durch die Satansgruppe, -loge oder den Satansorden bedeutet, daß der Untergang dieses Satanskultes vorprogrammiert ist. Auch haben Satansorganisationen durchaus ein ökonomisch-monetäres Interesse, daß die Involvierung ihrer Anhänger festgeschrieben wird. Das sichert auch zukünftige Einnahmen u.a. durch den Zwang zur Prostitution der weiblichen Mitglieder, Drogen-Deals, Hehlerei und Erpressen "freiwillig gezahlter Geldbeträge".

"Schwarze Messe"

Die schwarze Messe gehört zur rituellen Praxis einer jeden satanistischen Gruppe. Sie stellt die Umkehrung des christlichen Ritus, genauer: der römisch-katholischen Messe, dar. Schwarzes Tuch, Paramente und Insignien, Meßbücher, Symbole wie das Pentagramm, das umgedrehte Kreuz und die Zahl 666 sowie schwarze Kerzen und ein Altar sind die notwendigen Utensilien. Der Ablauf einer schwarzen Messe kann allerdings nicht typisiert werden. Brutale und sadistische Varianten werden nach Darstellung von Aussteigern durchaus praktiziert. Leiter von Beratungsstellen haben berichtet, daß es dabei sowohl zu Tieropfern, zu Körperverletzungen (Schnitte im Arm oder im Genitalbereich, Brüchen), rituellen Vergewaltigungen (oft durch den gesamten männlichen Teil der Gruppe) sowie zu Folterungen im Rahmen des Schmerztrainings gekommen ist. Schmerzen ertragen zu können, wird im Kult als Beweis für den satanistischen Fortschritt angesehen. Aussteigerberichten zufolge, wird ein Satanist gefoltert und foltert andere. Liebe soll in Haß umgewandelt werden, und je besser dies dem Adepten gelingt, desto weniger hat er selbst mit Foltermaßnahmen zu rechnen. Neben manipulativen Techniken (von Autosuggestion bis zur Trancearbeit) gehören Alkohol und Drogen zur Beeinflußung der Involvierten selbstverständlich dazu, um bei Ritualen bestimmte Bewußtseinszustände zu erreichen. Kommentar einer Adeptin: "Ohne breit zu sein (sie meint damit Heroin) hältst du das alles gar nicht aus!"



3.4.6 Konfliktfelder

In welchem Ausmaß es fest strukturierte Organisationen gibt, die sich mit satanistischen Praktiken beschäftigen, muß an dieser Stelle dahin gestellt bleiben, da hierzu der Enquete-Kommission keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen.

Gesellschaftlich sichtbar und problematisch ist der sogenannte jugendzentristische Satanismus. Viele dieser dort verortbaren Gruppen bilden sich jedoch meist spontan, und es gibt keine Gewähr für deren Dauer. Die praktizierten Rituale sind nicht systematisiert und fixiert, zum Teil dienen als Vorlage für die Ritualpraxis Literatur, Zeitschriften oder Fernsehsendungen jedweder Art. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, daß Jugendliche und junge Erwachsene auch in fest strukturierten Organisationen involviert sind. Die Mitgliedschaft in satanistischen Gruppen führt nicht selten zu Abhängigkeits-, Angst- und Bessenheitssyndromen, wie auch zu medizinisch diagnostizierten psychotischen Episoden. Die Vorstellung und der Glaube, als Geheimnisträger nicht aussteigen zu können, zusammen mit der Angst vor Rückholungsmaßnahmen in die Gruppe, läßt für einige den Suizid als einzigen Ausweg erscheinen. Den in diesem Bereich tätigen Beratungs- und Informationsstellen sind Fälle bekannt.

Trägt man die Expertenmeinungen und die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu diesem Thema zusammen, so läßt sich die einhellige Äußerung feststellen, daß es sich beim sogenannten jugendzentristischen Satanismus eher um ein Randphänomen handelt. Die Berichte über Kirchen- und Friedhofschändungen, Parties auf Friedhöfen usw. sind häufig nicht eindeutig dem Satanismus zuzuordnen und stellen wohl eher eine Variante jugendlichen aggressiven Verhaltens in Verbindung mit Vandalismus dar. Das Protestverhalten wird über Tabuverletzung ausgedrückt und dabei werden gleichzeitig die Symbole der Herrschenden auf den Kopf gestellt. Die dabei gebrauchte satanistische Symbolik dient als schmückendes Beiwerk. Andere Gründe für das Mitmachen sind neben Langeweile, der Suche nach Spannung, Erlebnisintensität und dem ultimativen Thrill auch die Möglichkeit der Selbstinszenierung. Zum Teil sind die Ursachen für das Ausüben satanistischer Praktiken auch in der gesellschaftlichen Perspektivlosigkeit für die Jugendlichen sowie der Fremdbestimmtheit des Einzelnen und damit auch seiner Bindungslosigkeit in der Gesellschaft zu suchen. Zudem spielen, forscht man in der Biographie des Aussteigers nach, auch meist persönliche und familiäre Probleme eine nicht unbedeutende Rolle.

Wesentlich bleibt darauf hinzuweisen, daß organisierte Formen des Okkultismus randständig bleiben, daß aber in okkulten Vorstellungen und Praktiken grundlegende Prinzipien unserer Gesellschaft, wie z. B. Selbstgestaltung und Selbstverantwortung des Lebens, erodieren. Hinzu kommt, daß ein Teil der okkulten Anschauungen im Zusammenhang mit rechtsradikalen und neofaschistischen Vorstellungen in Verbindung stehen.

Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang möglicherweise begangenen Straftaten hat die Enquete-Kommission eine Abfrage bei den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt durchgeführt. Konkrete Erkenntnisse zu gemeinschaftlich begangenen Straftaten aus diesem Bereich, die über Einzelfälle hinausgehen, hat die Abfrage nicht erbracht. Zu den Ergebnissen ist anzumerken, daß Straftaten mit okkultem bzw. satanistischem Hintergrund in den meisten Landeskriminalämtern nicht gesondert erfaßt werden. Ausnahmen bilden hier das Land Niedersachsen und das Land Brandenburg. Das Land Berlin hat eine Nachrichten- und Sammelstelle zum Thema "sogenannte Sekten" eingerichtet, und es besteht eine Meldepflicht für Straftaten mit rituellem Hintergrund. Der Freistaat Sachsen erfaßt datenmäßig gegen kirchliche Einrichtungen gerichtete Straftaten unter besonderer Berücksichtigung durch "satanistische" Tätergruppen. Das Landeskriminalamt des Landes Nordrhein-Westfalen stellt in einer Sonderauswertung zum Thema "Okkultismus/Satanismus" aus dem Jahre 1995 fest, daß es sich beim Satanismus mehr um ein qualitatives als ein quantitatives Problem handele. Hinweise auf einzelne schwerwiegende Straftaten hätten nicht verifiziert werden können. Die Anzahl der Delikte, die dem jugendzentristischen Satanismus zuzurechnen seien, steige allerdings. Man sehe zur Zeit zwar keinen konkreten Handlungsbedarf, trotzdem sollten die Aktivitäten und Strömungen in diesem Umfeld besonders sorgfältig beobachtet werden. Bei den bekannt gewordenen Straftaten handelt es sich um Körperverletzungen, Nötigung, Störung der Totenruhe, (gemeinschädliche) Sachbeschädigung, Brandstiftung, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sowie auch Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Inwiefern diese Straftaten aber eindeutig als Ausdruck okkulter oder satanistischer Glaubensüberzeugungen oder Gruppen zu interpretieren sind, muß häufig offen bleiben. Eine Recherche im kriminalpolizeilichen Meldedienst hinsichtlich der oben genannten Straftaten im Zusammenhang mit Okkultismus/Satanismus in Nordrhein-Westfalen verlief negativ.

Wie auch bei anderen Straftaten, die mit konfliktreichen neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen in Zusammenhang stehen, gibt es allerdings auch hier ein Defizit bei den Ermittlungsbehörden.