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Reiki: Heilmethode oder Religion?

Ermanno Pavesi (vobiscum. Publikationsorgan des Erzbistums Vaduz, 8. Jahrgang, 05 2006, 36-43)

1. Reiki

In den letzten Jahrzehnten hat sich in den westlichen Ländern das Angebot an Reiki-Kursen und -Therapien rasch entwickelt. Weder die Theorien des Reiki noch das Phänomen im allgemeinen sind bis jetzt von Religionswissenschaftlern untersucht worden (1). Es besteht eine bedauerliche Lücke, weil nicht selten Mediziner, Seelsorger, Erzieher, Berater usw. mit dem Phänomen konfrontiert sind, die aber, wenn sie sich darüber informieren wollen, praktisch nur auf Quellen angewiesen sind, die von Reiki-Anhängern stammen.

2. Die Geschichte

Das Reiki-System ist vom Japaner Mikao Usui (1865-1926) entwickelt worden, der nach einer dreiwöchigen Fastenzeit an einem für die Buddhisten heiligen Berg eine Erleuchtung hatte und erkannte, dass Reiki als kosmische Energie das Urprinzip und die Schöpferkraft der ganzen Realität darstellt und dass Gesundheit und Krankheit eng mit dieser Energie verbunden sind. Er begann seine Tätigkeit als Heiler, sammelte Schüler um sich und gründete 1922 die "Gesellschaft für das Heilen durch Usui-Reiki" (Usui Reiki Ryoho Gakkai). Bis zu seinem Tod soll Usui mehr als dreitausend Menschen in seiner Lehre unterrichtet, aber nur 16 Meister eingeweiht haben. Nach seinem Tod trennten sich einige seiner Schüler von der Gakkai und gründeten eigene Schulen, unter Ihnen Chujiro Hayashi (1878- 1941).

Nach einer erfolgreichen Reiki-Therapie in der Klinik von Hayashi brachte Hawayo Takata (1900-1980), eine Hawaiianerin japanischer Herkunft, das Reiki in den Dreissiger Jahren nach Hawaii. Mit Takata, die 1941 von Hayashi den Meistergrad erhalten hatte, beginnt die Geschichte des Reiki in Westen, das hier einen eigenständigen Weg einschlug. Frau Takata selber hat bis zu ihrem Tod nur 22 Personen als Meister eingeweiht. Gleich nach ihrem Tod spaltet sich die westliche Reiki-Bewegung: Phyllis Lei Furumoto gründet die Reiki Alliance, Barbara Weber Ray die American Reiki Association, und jede beansprucht, die legitime Nachfolgerin Takatas zu sein. Mit der zunehmenden Popularisierung des Reiki und mit der wachsenden Zahl der Reiki-Meister gibt es in der Folge unzählige Sezessionen. Lange Zeit hat man in Westen gemeint, die japanische Reiki-Gesellschaft sei ausgestorben, und man betrachtete das Werk der Takata als die einzige noch verbliebene Quelle. In den letzten Jahren haben einige westliche Reiki-Meister in Japan recherchiert und festgestellt, dass die Gesellschaft für das Heilen durch Usui-Reiki, d.h. auch die legitime Sukzession von Usui, noch existiert.

3. Was ist Reiki?

Das japanische Wort Reiki wird meistens mit kosmischer Energie übersetzt. Der zweite Teil des Wortes -ki entspricht dem chinesischen qi, Energie, das auch in der Bezeichnung von anderen Heilmethoden verwendet wird, wie im qi qong.

4. Die drei Ebene des Reiki

"Das Usui-System des Reiki ist einerseits eine sehr wirksame Methode ganzheitlicher Heilung durch die Übertragung Universeller Lebensenergie (Reiki) von Mensch zu Mensch. Andererseits ist ein vollgültiger Weg der spirituellen Persönlichkeitsentwicklung, ein mystischer Pfad zum Licht" (2).

Wir können also drei Ebene unterscheiden: Reiki als Heilmethode, als Persönlichkeitsentwicklung und als mystischer Weg.

A. Reiki als Heilmethode

Die Gesundheit des Menschen setzt, laut der Reiki-Theorie, einen ungestörten Fluss der feinstofflichen Energie im Körper voraus. Westliche Autoren haben diese Theorie mit der Chakra-Lehre ergänzt, d.h. mit der Annahme einiger wichtiger, zwischen Unterleib und Schädel lokalisierter Energie-Schaltzentren: "Die Chakren gehören zum feinstofflichen Energiesystem und spielen eine wichtige Rolle für die Gesundheit und Heilung" (3)

Reiki betrachtet Krankheiten als Manifestationen einer Dysfunktion der feinstofflichen Energie oder einer Ansammlung negativer Energie. Wichtiger als die Diagnostik der akademischen Medizin wären also Erkennung und Behandlung dieser Dysfunktion. 

"Krankheit beginnt zuerst in der Aura, häufig in Form von Karma aus vergangenen Leben oder als negatives Ki, das durch unser Unterbewusstsein in diesem Leben entstanden ist. Im Laufe der Zeit können diese 'Samen' in der Aura gestärkt werden durch negative Energie und Erfahrungen, die sie selbst anziehen. Wenn dies geschieht, fangen diese 'Samen' zu wachsen an und strecken ihre 'Wurzeln' bis zu den Chakren aus. Wenn sie nicht geheilt werden, können sie schliesslich bis in den physischen Körper reichen und sich dort als Funktionsstörung oder Krankheit manifestieren. Deshalb kann dauerhafte Heilung nicht beim physischen Körper oder bei den Chakren aufhören, sondern muss sich bis in die Aura ausdehnen, wo die Grundursache liegt" (4).

Eine wirksame Therapie muss dementsprechend diese Ursachen beseitigen können:

"Heiler heilen, indem sie positives Ki erzeugen und es zur Aura, zu den Chakren oder in den Körper an die Stellen senden, wo das negative Ki lokalisiert ist. Dort soll das negative in positives Ki umgewandelt oder freigesetzt und aufgelöst werden" (5).

Es gäbe auch andere Alternativtherapien, die den energetischen Ansatz in der Behandlung anwenden, bei Reiki handle es sich jedoch um eine ganz besondere Heilenergie, "die sehr viel mehr ist als nur Ki. Reiki ist Ki, das direkt von einer höheren Macht gelenkt wird. Diese höhere Macht kann man auch Gott nennen, das Höchste Wesen, das Universum, das Allumfassende Wissen, das Alles Seiende, Jehova, Krishna, Buddha, den Grossen Geist usw." (6).

B. Reiki als Persönlichkeitsentwicklung

Reiki beschränkt sich nicht auf die Behandlung von Krankheiten, sondern verlangt, dass man die eigene Lebensweise an einer harmonischen Auffassung der Welt und der Natur orientiert, und von Liebe, Friede und Freiheit inspiriert wird.

Usui hat fünf Grundsätze formuliert:

 - nur für heute

 - nicht böse sein

 - sei dankbar

 - arbeite hart

 - sei nett zu anderen

C. Reiki als mystischer Weg

"Je mehr wir uns der Macht des Reiki ergeben, um so tiefer kann die Heilung durch das Überbewusstsein sein, aus dem Reiki entspringt. Dabei werden wir immer besser in der Lage sein, in unserem physischen Körper ein höheres Bewusstsein zu halten und zu festigen. Unser Bewusstsein wird sich ausdehnen. Wir werden immer höherwertige Reiki-Energien channeln, deren Heilungen immer bedeutungsvoller werden. Diese Energie wird so stark werden, dass schliesslich die Schleier der Illusion, die uns heute an der Erkenntnis unserer wahren Natur hindern, durchbrochen, aufgelöst und freigesetzt werden. So werden zunächst nur ein paar, aber dann schnell immer mehr Menschen Satori (eine erleuchtende Erfahrung) erlangen und sich selbst erkennen. Dieser höhere Geisteszustand, den bislang nur sehr wenige Menschen auf Erden erfahren haben, wird für alle ganz normal werden. Dann ist unsere Mission als Rasse erfüllt, Frieden, Liebe und Freiheit der höheren Macht werden den vorrangigen Einfluss auf diesem Planeten haben, und Reiki hat seinen göttlichen Zweck auf Erden erfüllt" (7). 

5. Die drei ersten Grade des Reiki

Allen westlichen Reiki Schulen sind drei Grade gemeinsam: Durch besondere "Einstimmungen" oder "Einweihungen" werden jeweils höhere Fähigkeiten aktiviert.

Im ersten Grad wird "der in jedem Menschen latent vorhandene Kanal für Reiki geöffnet und  für die ganze folgende Lebenszeit stabilisiert" (8). Es werden auch Handstellungen gelehrt, die der Übertragung des Reiki dienen.

Im zweiten Grad wird die Fähigkeit aktiviert, Reiki-Energie zu kanalisieren und auch in die Ferne zu senden, sodass Fernbehandlungen möglich werden. Bei der Einweihung muss der Schüler auch mit drei besonderen Symbolen, japanisch-chinesischen Schriftzeichen, vertraut werden, sowie mit drei Mantras, d.h. spezielle Silben, die während der Meditation ausgesprochen werden, auswendig können.

Im dritten Grad wird man zum Meister eingeweiht, sodass die Person nicht nur Patienten behandeln, sondern auch Schüler lehren kann.

Manche Reiki-Systeme kennen zusätzliche höhere Grade.

Obwohl westliche Reiki-Meister immer wieder betonen, dass Menschen jeder Konfession und jeden Glaubens eingeweiht werden können, sind die Symbole eng mit der buddhistischen Tradition verbunden. Das "transpersonale Kontaktsymbol 'HS'" zum Beispiel "steht symbolisch auch für das Buddha-Bewusstsein" "Der Buddha in mir verbindet sich mit dem Buddha in dir". Lübeck empfiehlt, um den vielseitigen Sinngehalt dieses Symbols zu erfassen, "buddhistische Spezialwerke zu konsultieren" (9).

Das "Symbol der Freiheit: 'SHK'" "steht in Verbindung mit dem Bodhisattva Avalokiteshvara (Sanskrit). Diese Gottheit ist synonym mit Kannon, einer japanischen Göttin, die in China als Kuan Yin und in Tibet als Tara bekannt ist. [...] SHK [ist] auch ein Symbol der spirituellen Reinigung von Anhaftungen, das im buddhistischen Kontext wahrscheinlich auch in Beziehung zu Buddha Amitabha (japan. Amida) steht" (10).

Das "Meistersymbol 'DKM'" "erschliesst die Buddha-Natur [...] Das DKM steht für das Buddha-Bewusstsein. Es ist eng verbunden mit der Zentralgottheit des Shingon [eine japanisch-buddhistische Schule], Dainichi Nyorei, die in China, Indien und anderen asiatischen Ländern als Buddha Vairochana (Sanskrit Bezeichnung für "der Sonnengleiche") bekannt ist" (11). 

6. Östliches und Westliches Reiki

"Unter Dr. Usui wurde Reiki sehr intuitiv gelehrt und gelernt, man traf sich einmal pro Woche, meditierte, praktizierte zusammen und übte den Körper so lange zu 'scannen' (zu durchleuchten), bis es gelang, zu einer Art energetischen Diagnose zu kommen. War dies der Fall, behandelte man sofort den/die betreffenden Körperteil(e). Manchen Reiki-Schülern gelingt dies sofort, anderen erst nach ein paar Wochen, Monaten oder Jahren. [...]

In Japan wird der Reiki-Weg als ein Lebensweg gesehen, der über viele Jahrzehnte bis zum Lebensende gegangen wird. Manchmal erlangte ein Schüler in Japan den zweiten Reiki-Grad erst nach zehn oder zwanzig Jahren der Übung. Und der Grossteil der Schüler erreichte niemals die höheren Ränge. Man war und blieb immer ein Schüler" (12).

In westlichen Schulen dagegen ist es möglich in wenigen Wochenendeseminarien den Meistergrad zu erwerben. Die Kürze der Ausbildung wird manchmal kritisiert, manchmal aber wird eine längere Ausbildung als nicht nötig betrachtet: "Das ist das Besondere an Reiki. Man benötigt dafür weder eine bestimmte Fähigkeit noch Jahre der Praxis. Jeder kann es an ein oder zwei Tagen erlernen und sofort wirksame Ergebnisse spüren" (13).

Es gibt also einen krassen Unterschied zwischen dem japanischen Reiki, wo die meisten Anhänger das ganze Leben lang Schüler, also Lernende bleiben, und dem westlichen Reiki, wo sogar Kurse gibt, die "alle Reiki-Stufen, einschliesslich der Meister-Stufe, an einem Tag oder Wochenende" anbieten (14). Auch wer der Meister-Titel auf diese Art erworben hat, kann Reiki lehren und Kurse halten. Es sollte deshalb nicht wundern, wenn, nach einer solchen einfachen Einführung in das Reiki-System, viele Reiki-Meister auch andere Methoden anwenden und Reiki-Theorie mit den verschiedensten esoterischen und religiösen Traditionen kombinieren, wie angebliche Traditionen von Druiden und Sufi, Theosophie, Schamanismus, Hypnose, Neurolinguistische Programmierung, Steintherapie,  Rückführungen usw.

7. Energetische Interpretation der Realität

Der Erfolg des Reiki im Westen ist aber kein Wunder. Reiki enstpricht einigen Grundeigenschaften der modernen Esoterik. In einem sehr empfehlenswerten Buch identifiziert Edmund Runggaldier, Philosophie-Professor an der Universität Innsbruck, in der energetischen Auffassung der Realität den gemeinsamen Zug vieler esoterischer Schulen:

"Alles, was uns begegnet, alles, womit zu tun haben, auch die vielen verschiedenen Dinge des Alltags, sind letztlich Ausfaltung und Manifestation von Energie. Der Kosmos besteht also nicht aus untereinander klar getrennten Dingen und Organismen. Die Welt ist keine Summe von Dingen und Ereignissen, sondern lediglich vielfältige Ausfaltung der einen energetischen und dynamischen Grundwirklichkeit. Die Urenergie ist zudem nichts Statisches, sie fliesst ohne Unterlass" (15).

Diese Auffassung der Realität und der Therapie lässt sich in der Vergangenheit zurückverfolgen. Man kann z.B. auf Franz Anton Mesmer (1734-1812) verweisen, dessen animalischer Magnetismus esoterische und parapsychologische Schulen des 19. Jahrhunderts massgeblich beeinflusst hat (16).

Ende des 19. Jahrhunderts betont einer der bedeutendsten Esoteriker der Zeit, Theodor Reuss (1855-1923), die Gemeinsamkeiten von östlichen Theorien, wie derjenigen der Prana, mit westlichen, z.B. mit dem animalischen Magnetismus.

"Pranatherapie ist die Lehre von der Heilkunst mittels des Lebensgeistes Prana, Od, Vitalkraft, Astralfluidum, auch organischer Magnetismus oder Nerven-Elekritizität genannt" (17).

8. Selbstheilung?

In verscheidenen Texten wird die Heilung durch Reiki als Selbstheilung bezeichnet, was aber deutlich missverständlich ist. Es wird immer wieder betont, dass der Heiler das Reiki, das heisst die kosmische Energie kanalisiert und auf den Patienten überträgt, dass diese Energie unabhängig vom Bewusstsein des Patienten hilft, in dem sie selber das Ziel findet und die gestörten Energieverhältnisse, die der Krankheit zugrunde liegen, korrigiert. Worin besteht die Selbstheilung, wenn die Heilung durch einen Energiestoss von aussen erzielt wird und vom Patienten nichts anders erwartet wird, als dass er sich diesem Energiestrom öffnet? Diese Technik könnte sogar mit der Herz-Defibrillation verglichen werden: bei gewissen Hezrhytmusstörungen, kann ein kräftiger Stromstoss den normalen Rhythmus wiederherstellen. Könnte man auch bei dieser Technik von Selbstheilung sprechen?

9. Magische Aspekte

Manche Autoren erwähnen die Möglichkeit, Reiki-Energie nicht nur Menschen sondern auch Tieren, Gegenständen, Orten usw. zu übertragen, sie gehen dabei aber nicht ins Detail. Lübeck dagegen beschreibt verschiedene Rituale, die einen magischen Charakter haben. Etwas befremdlich ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Reiki-Energie angerufen wird und ihr Befehle erteilt werden: "Bitte die Reiki-Kraft durch dich zu fliessen [...]. Gib die Begriffe 'Genesung' und 'Gesundheit' der Reiki-Kraft in die Hände und werde zum Werkzeug" (18). Es wird eine geistige Dimension (Hohes Selbst) jedem, auch unbelebten Wesen zugeschrieben. Und der Kontakt zum jeweiligen Hohen Selbst stellt gerade die Grundlage für die Wirksamkeit der Rituale dar.

Lübeck beschreibt u. a. die Herstellung von "Engel-Essenzen". Zuerst muss die Wahl eines Engels getroffen werden. Nach einer kurzen Meditation "stelle die Frage: 'Welcher Engel kann mir helfen, das Problem (Beschreibung des Problems einfügen) zu lösen’. Denke an die Frage, mische dabei die Karten [ein Set von Karten, die verschiedene Engel abbilden], lege sie verdeckt aus und ziehe eine davon. Jetzt weisst du, welcher Engel sich entschieden hat, zur Klärung deiner Schwierigkeiten beizutragen. Danke ihm dafür, dass er sich bei dir gemeldet hat, und bitte um seine Hilfe". Für den Fall, dass man dieses Karten-Set nicht besitzt, gibt es am Anhang des Buches unter den vielen Tafeln auch eine mit den Namen der Engel: mit Hilfe eines Pendels könnte man auch die Auswahl treffen. Der nächste Schritt ist die "dreimalige Anrede (Namen des Engels einfügen - zum Beispiel Erzengel Gabriel)", mit der Bitte "eine dauerhaft haltbare Reiki-Essenz mit der besonderen Kraft des Engels herzustellen oder mit der Energiequalität, die er zur Heilung deiner Disharmonie am geeignetsten findet (19). Man muss weiter etwa 15 Minuten Fern-Reiki an das Hohe Selbst senden, "über der Trägersubstanz - zum Beispiel Zucker - ein Mentalbehandlungssymbol und ein Kraftverstärkungssymbol" anbringen. "Richte durch dreimaliges Nennen des Namens der Trägersubstanz - zum Beispiel: dieser Zucker, dieser Zucker, dieser Zucker - und darauf Schauen die Mentalheilung eindeutig aus. [...] Bitte deinen feinstofflichen Partner darum, nun das heilende Energiemuster durch dich in die Trägersubstanz einzubringen. [...] Warte, bis der Kraftstrom komplett durch dich geflossen ist. [...]Bedanke dich bei dem Spender des heilenden Musters, bitte darum , dass er beim nächsten Mal wieder mit dir zusammenarbeitet und beende den Fernkontakt korrekt" (20).

10. Fazit: Alternative, "sanfte" Heilmethoden können spirituelle Nebenwirkungen haben.

Der Titel der vorliegenden Auseinandersetzung ist "Reiki: Heilmethode oder Religion?" Es handelt sich dabei um eine wichtige und grundsätzliche Frage. Es geht zum Beispiel darum, ob die Therapie so eingebettet ist in ein Weltbild oder in ein Glaubensystem, dass eine Grenzüberschreitung ins Spirituelle gibt, wenn sich jemand dieser Therapie anvertraut, und ihre Grundlagen ernst nimmt. Das gilt nicht nur für Reiki. Ein französischer Religionswissenschaftler hat die Bezeichnung "Religion de guérison" (21) vorgeschlagen für die Therapien, die die Heilung von einer religiösen Umstellung erwarten, sodass die Grenze zwischen Heilungs- und Bekehrungsprozess parallel läuft. Diese Problematik ist Es ist auch die Konsequenz monistischer Tendenzen, die die Metaphysik und Transzendenz leugnen, und somit auch die Möglichkeit vereiteln, zwischen Heiligem und Profanem zu unterscheiden. Fünfundzwanzig Jahrhunderte medizinischer Fortschritte werden somit zunichte gemacht, wir kehren zum Medizinmann zurück, der gleichzeitig "Priester" und Heiler ist. Eugen Drewermann, zum Beispiel, hofft auf die Möglichkeit, "jene Ursprungseinheit von Religiosität, Poesie und Therapie wiederzufinden, die in Gestalt des Schamanismus einmal Wirklichkeit gewesen ist" (22). Es ist auch keinen Zufall, wenn der Schamanismus in der modernen Esoterik hoch in Kurs steht.

Das gilt auch für Reiki mit seinen drei Ebenen: Therapie, Persönlichkeitsentwicklung und mystischer Weg, die nur verschiedene Aspekte der gleichen Praxis darstellen.      

Wer sich einer Reiki-Behandlung unterzieht, muss sich im klaren sein, dass die Behandlung auf eigenartigen Vorstellungen über die Entstehung der Krankheit basiert, zum Beispiel dass die Krankheit eine karmische Ursache hat, d.h. von Verfehlungen in früheren Existenzen abhängt, was natürlich den Glauben an die Reinkarnation voraussetzt. Die Behandlung besteht in der vermeintlichen Gabe von "Lebensenergie" auf eine oft magische, wissenschaftlich völlig unsinnige Art. Häufig werden Heilmittel und Amulette verwendet, die mit magischen Ritualen hergestellt worden sin. Auch wenn bei Reiki-Therapien Massagen angewendet werden, handelt es sich dabei in der Intention des Heilers keinesfalls um eine übliche Massage, sondern die Heilung besteht in der Übertragung von Reiki, die sowohl mit der direkten Berührung des Patienten aber genauso auch als Fernbehandlung geschehen könnte.

Persönlichkeitsentwicklung in diesem Kontext: ist ein sehr fragwürdiger Begriff. Wenn alles Energie ist, sind Ich, Persönlichkeit, Bewusstsein nur Täuschungen, die das Gefühl der Einheit aller Wesen nur hindern. Eigentliche Persönlichkeitsentwicklung wäre die Auflösung der Persönlichkeit mit einem Gefühl von Einheit mit der ganzen Natur, eine Bewusstseinserweiterung.

Somit sind wir zum wesentlichen Kern dieses Systems, zu ihrem "göttlichen Zweck auf Erden" gelangt (23), zu einer Mystik, die mit unserer westlichen philosophischen und religiösen Tradition völlig unvereinbar ist. 

Mehr oder weniger berechtigte Enttäuschungen über unser Gesundheitssystem stellen für nicht wenige Zeitgenossen den Anlass dar, alternative Therapien zu versuchen. Man muss aber vor Reiki dringend warnen. Man darf nicht vergessen, dass Reiki aus einer mystischen Erleuchtung entstanden ist, auf wissenschaftlich unhaltbaren Theorien begründet ist und ihr eigentliches Ziel eine Bewusstseinerweiterung ist, die von den Reiki-Meistern als Buddha-Bewusstsein bezeichnet wird. Abgesehen von der immer vorhandenen Gefahr, dass die Suche nach alternativen Therapien wirksame schulmedizinische Behandlungen versäumen lässt, muss betont werden, dass diese, oft als "sanft" bezeichneten Therapien schwere Nebenwirkungen haben können, nämlich spiritueller Art.  

 

Fussnoten

1.   Kürzlich ist auf Italienisch das Buch J. Gordon Melton, Andrea Menegotto, Rejkj, tecnica o religione, Elledici, Leumann (Torino) 2005 erschienen.

2.   Walter Lübeck, Frank Arjava Petter, William Lee Rand, Das Reiki-Kompendium. Ein umfassendes Handbuch über das Reiki-System. Windpferd , 3. Auflage 2003, Aitrang 2003, S.241.

3.   Ebd., S. 81.

4.   Ebd., S. 85.

5.   Ebd., S. 65.

6.   Ebd., S. 66-67.

7.   Ebd., S. 269-270.

8.   Walter Lübeck, Rainbow Reiki, 4. aktualis. Auflage, Windpferd, Aitrang 2002 S. 17.

9.   Das Reiki-Kompendium, zit., S. 124.

10. Ebd., S 126-127.

11. Ebd., S. 129.

12. Dr. Mikao Usui, Frank A. Petter (Hrsg.), Original Reiki-Handbuch des Dr. Mikao Usui, Windpferd, 6. Auflage 2005S. 8.

13. Das Reiki-Kompendium, zit. S. 67.

14. Ebd., S. 99.

15. Edmund Runggaldier, Philosophie der Esoterik,. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln, 1996, S. 36.

16. Vgl. zum Beispiel unseren Artikel Der Spiritismus, vobiscum 5, 2001, S. 45-53.

17. Theodor Regens [Theodor Reuss], Pranatherapie, in Sphynx XIX, 101. Juli 1894, S. 14-15.

18. Original Reiki Handbuch des Dr. Mikao Usui, zit., S. 17.

19. Rainbow Reiki, zit., S. 172.

20. Ebd., S. 162.

21. Régis Dericquebourg, Religions de guérison, Les Éditions du Cerf, o.O. 1988.

22. Eugen Drewermann, Kleriker. Psychogramm eines Ideals, Walter Verlag 7. Aufl. 1990, Olten S. 738.

23. Reiki Kompendium, zit., S. 270