Nr. 54/2001: Klage der Berliner Scientology-Kirche gegen ihre Beobachtung durch den Ver-fassungsschutz mittels Vertrauensleuten hat Erfolg
Die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hat heute entschieden, dass der Berliner Verfassungsschutz die Anwerbung und den Einsatz von Mitgliedern oder Mitarbeitern der Scientology-Kirche Berlin als bezahlte sog. "Vertrauensleute" für ihre Beobachtung zu unterlassen hat.
Aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 5./6. Juni 1997 werden die Scientology-Organisation und ihre in Deutschland tätigen Regionalvereinigungen bundesweit - mit Ausnahme des Landes Schleswig-Holstein - durch die jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörden beobachtet. Die Berliner Scientology-Kirche nahm den erfolglosen Versuch des Berliner Verfassungsschutzes, einen ihrer Mitarbeiter als sog. "Vertrauensmann" des Verfassungsschutzes zum Zwecke verdeckter Ermittlungen gegen sie anzuwerben, zum Anlaß, die vorliegende Klage zu erheben, mit der das Landesamt für Verfassungsschutz verurteilt werden soll es zu unterlassen, Mitarbeiter oder Mitglieder der Kirche durch Versprechen von Geldleistungen oder wirtschaftlichen Vorteilen zu bestimmen, Daten und Informationen über die Kirche und deren Mitglieder zu sammeln und dem Verfassungsschutz zugänglich zu machen.
Das Gericht gab der Klage statt und führte zur Begründung im wesentlichen aus: Der Einsatz von Vertrauensleuten, also Personen, die dem Beobachtungsobjekt angehören und dem Verfassungsschutz verdeckt zuarbeiten, sei nach der Neufassung des Verfassungsschutzgesetzes als nachrichtendienstliches Mittel nunmehr unter besondere gesetzliche Voraussetzungen gestellt. Nach den bei Aufnahme der gegen Scientology gerichteten Beobachtungen Mitte 1997 vorhandenen Anhaltspunkten sei zwar ein Anfangsverdacht anzuerkennen gewesen, dass Scientology verfassungsfeindliche Bestrebungen hege. Die Aufnahme der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die nach der damaligen Rechtslage auch den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlaubt habe, sei daher damals rechtmäßig gewesen. Das Gericht habe jedoch nicht feststellen können, dass der Einsatz von Vertrauensleuten gegen die Berliner Scientology-Kirche auch gegenwärtig noch geboten sei. Dies habe das Land Berlin dem Gericht plausibel darzulegen, ein solcher Vortrag sei jedoch nicht erfolgt. Es genüge nicht, dass es allgemein erkläre, dass Ergebnisse von Verfassungsschutzbeobachtungen erst nach längerer, noch nicht verstrichener Zeit vorliegen könnten, zumal die beobachtete Gemeinschaft sich im Hinblick auf diese Ermittlungen zurückhaltend betätige. Solche Erklärungen seien Allgemeinplätze und nicht geeignet, plausibel zu erklären, dass der weitere Einsatz von Vertrauensleuten im konkreten Fall geboten und erforderlich sei. Im übrigen habe das Land Berlin sich im wesentlichen nur auf verdachtsbegründende Textstellen aus diversen Schriften bezogen, auf denen schon die Anordnung der Beobachtung 1997 beruht habe. Auch hieraus könne die Notwendigkeit des weiteren Einsatzes von Vertrauensleuten nicht plausibel erklärt werden, zumal der Verfassungsschutz auf entlastende Erklärungen von Scientology über die Bedeutung dieser teilweise aus dem Zusammenhang gerissenen Textstellen nicht eingehe. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche tatsächliche Verhaltensweisen oder Betätigungen von Scientology, etwa in Zusammenhang mit ihrem angeblichen Bestreben, in Schlüsselpositionen des Staates einzudringen, seien vom Land Berlin nicht vorgebracht worden. Ein solches Vorbringen wäre aber notwendig gewesen, um dem Gericht die Erforderlichkeit weiterhin andauernder Beobachtung durch Vertrauensleute plausibel zu machen. Denn der Verfassungsschutz habe in einer Presseerklärung Mitte 1998 selbst mitgeteilt, dass es nur wenige Scientology-Angehörige im öffentlichen Dienst Berlins gebe, darunter weder Richter noch Lehrer.
Da das Land Berlin die erforderliche plausible Erklärung nicht abgegeben habe, könne das Gericht nicht feststellen, dass der Einsatz von Vertrauensleuten zur Beobachtung der Berliner Scientology-Kirche auch weiterhin geboten sei. Das Gericht könne diese Frage auch nicht selbst aufklären. Bleibe es aufgrund des Verhaltens des Landes Berlin, dem insoweit die Darlegungslast obliege, aber ungeklärt, ob der Einsatz von Vertrauensleuten weiterhin geboten sei, müsse zu seinen Lasten entschieden werden.
Urteil der 27. Kammer vom 13. Dezember 2001 - VG 27 A 260.98
Today, the 27th Chamber of the Administrative Court in Berlin decided that the Berlin Office for the Protection of the Constitution has to stop the recruitment and deployment of staff and members of the Church of Scientology Berlin as paid so-called "informants".
Pursuant to a decision of the Conference of Ministers of Interior of June 5th/6th, 1997, Scientology organizations and its German regional associations throughout the federation - with the exception of Schleswig-Holstein - are being observed by the State Offices for the Protection of the Constitution. The Church of Scientology of Berlin took the unsuccessful attempt of the Berlin Office for the Protection of the Constitution to recruit one of the Church's staff members as a so-called "informant" for the Office for the Protection of the Constitution for purposes of clandestine investigations, as the cause for the instant complaint, through which it seeks a judgment prohibiting the State Office for the Protection of the Constitution from enticing staff or members of the Church with promises of monetary payments or other economic advantages, to gather and convey to the Office for the Protection of the Constitution data and information about the Church and its members.
The Court affirmed the complaint and included in its reasoning, in essence: that the deployment of informants, i.e., persons associated with the target organization but who work covertly for the Office for the Protection of the Constitution as an intelligence means, is now subject to special legal conditions pursuant to the restatement of the Law concering the protection of the Constitution.
The indicators that were present in mid-1997 when the observation of Scientology was begun did give rise to an initial suspicion that Scientology had anti-constitutional intentions. The launch of the Office for the Protection of the Constitution's observation, which, according to the legal status at the time permitted the use of intelligence, would have been legal at the time. The Court has, however, not been able to ascertain that the use of informants against the Church of Scientology of Berlin at present is still warranted. This would have had to have been made plausible by the State of Berlin to the Court but such a presentation had not been provided. It was insufficient that it was generally explained that results from observations by the Office for the Protection of the Constitution could only be provided after an extended period of time which had not passed yet, especially as the association being observed had become more reserved because of said observation.
Such explanations are generalities and are not suitable to clearly explain that the continued use of informants was justified and needed in this case. Other than that, the State of Berlin had essentially only referred to suspicious portions of texts from a variety of writings on which already the observation in 1997 had been based.
But even based on this, the necessity of the continued use of informants cannot be explained especially as the Office for the Protection of the Constitution did not address the explanations of Scientology about the meaning of portions of text partly taken out of context.
Indicators of actual anti-constitutional behavior or activities on the part of Scientology, for example in connection with the Church's alleged efforts to take over key official positions were not presented by the State of Berlin. But such a presentation would have been necessary to explain to the court the necessity for a continued observation. The Office for the Protection of the Constitution in a press release they issued in mid 1998 stated that there were only a few Scientology members in public service positions in Berlin, amongst them not one judge or teacher.
As the State of Berlin could not present an explanation, the court could not determine that the use of informants for the observation of the Church of Scientology of Berlin continues to be necessary. The Court could not shed light on this question on its own. But as it remains un-clarified based on the conduct of the State of Berlin, which carries the burden of proof, whether or not the use of informants continues to be warranted, the decision had to be against the State.
Judgment of the 27th Chamber of December 13, 2001 - VG 27A 260.98
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